Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
ihr ins Ohr, als sie das Mikrofon an
meinem Revers befestigte. »Je seltener ein Paar Sex hat, desto höher steigt nach
neuesten Untersuchungen der Stresspegel. Wer dagegen mindestens zweimal in der Woche
körperliche Liebe praktiziert, hat keine Lust mehr auf Arbeit.«
»Bitte?«,
fragte sie sichtlich irritiert.
»Ich für
meinen Teil verzichte lieber auf die Nennung meiner Titel.«
»Wo sind
Ihre Notizen? Haben Sie sich nicht vorbereitet? Es ist eine Livesendung.«
»Hatten
Sie hier schon mal jemanden, der ohne Manuskript redet? Ich könnte Ihnen jetzt zum
Beispiel aus dem Stand einen Vortrag über Sexualprobleme halten.«
Ȇber Sexual
…?«
»Schottische
Mediziner haben herausgefunden, dass sich die Orgasmusfähigkeit der Frauen am Zusammenspiel
von Schrittlänge und Hüftschwung erkennen lässt. Muskelblockaden im Becken können
das vaginale Lustempfinden beeinträchtigen.«
Sie starrte
mich schweigend an. Danach war sie plötzlich verschwunden. Der Kameramann sagte
etwas über Lautsprecher, das ich nicht verstand, und Lionel Newton betrat das Studio.
»Alles in
Ordnung, Albert? Der Dalai Lama geht noch mal pinkeln, dann kann’s losgehen.«
Als seine
Heiligkeit hereinkam, drückte er mir lächelnd wie einem alten Bekannten die Hand,
kniff ein Auge zu und drapierte mit der anderen Hand den Überwurf auf der Schulter.
Sein Schädel
war kahl geschoren und seine große Brille strahlte das beruhigende Selbstbewusstsein
eines Mannes aus, der nichts dabei fand, dass er, obwohl Reinkarnation des Erleuchteten,
wie jeder gewöhnliche Mensch auf den Optiker an der Ecke angewiesen war.
Lionel Newton
sagte ein paar Worte darüber, was den Dalai Lama bewogen hatte, mit einem vierzehnjährigen
Schüler über das Glück zu diskutieren – die Überzeugung, dass jeder Mensch kompetent
sei, Fragen nach dem Sinn und Zweck des Lebens zu beantworten …
»Der Lebensstil
heutzutage hat sich stark verändert«, begann der Dalai Lama. »Jeder kämpft für sich
allein. In der westlichen Welt gibt es Menschen, die alles besitzen, aber dann oft
schmerzlich erkennen müssen, dass man damit keine tiefe Zufriedenheit erreicht.
Von meinem Standpunkt aus besteht das höchste Glück darin, dass es kein Leiden mehr
gibt. Das ist echtes, dauerhaftes Glück. Wahres Glück bezieht sich auf den Geist
und das Herz. Glück, das vornehmlich von physischem Vergnügen abhängt, ist instabil
– an einem Tag ist es da, am nächsten vielleicht nicht.«
»Albert?«,
fragte Lionel Newton.
»Leidensfreiheit
allein wäre noch kein Glück, sondern nur die Voraussetzung dazu. Der Sinn des Lebens
zeigt sich im Fühlen. Allerdings in viel umfassenderem Sinne, als Hedonismus oder
Begriffe wie Spaßgesellschaft, Lust und Wohlbefinden uns nahelegen. Auch anstrengende
Arbeit und Verantwortung können zur Positivität des Fühlens führen.«
»Wobei selbst
unter Skeptikern eine Abstimmung mit den Füßen stattfindet?«, fragte der Dalai Lama
lächelnd. »Wenn es uns gut geht, wenn wir nicht mehr leiden müssen, nicht unzufrieden
sind, beklagen wir uns auch nicht darüber, dass das Leben keinen Sinn hat?«
»Was zeigt,
dass unser Glück nicht allein in den Dingen liegt. Aber ein noch schwerwiegenderer
Fehler wäre es, zu glauben, Glück sei geistig erfassbar. Als müsse man nur denken:
Ich habe doch allen Grund glücklich zu sein – und dann bin ich auch schon glücklich.
Tatsächlich ist die Bewertung unseres Lebens etwas völlig anderes als das Glück.«
»Worin liegt
der Unterschied?«, erkundigte sich Newton.
»Glück ist
Fühlen, eine besondere Funktionsweise des Nervensystems. Wie auch Wohlbehagen, Freude,
Wohlgeschmack, Lust, Erleichterung, Schönheit. In allen Gefühlserlebnissen zeigt
sich ein Gemeinsames, nämlich Angenehmsein. So wie in allem Leiden, in Trauer, Angst,
Schmerz, Langeweile, Sorge immer Gleiches zu finden ist, nämlich Unangenehmsein.
Die Bewertung unserer Lebenssituation ist wie Leidensfreiheit nur Voraussetzung
des Glücks.«
»Und können
uns solche Einsichten helfen, das Glück zu erreichen?«, fragte der Dalai Lama.
»Sie bewahren
uns davor, illusionären Werten nachzujagen. Alle Handlungen sollten letztlich an
den Gefühlen gemessen werden, die sie in der Gesellschaft hervorrufen. Gefühle sind,
vom Wert und Sinn des Lebens her betrachtet, Hauptsache, nicht Nebensache.«
»Was macht
Sie da so sicher, Albert?«, erkundigte sich Newton. »Wieso nicht Aktien, Zinsgewinne,
Blumen, schöne Frauen und so
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