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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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weiter?«
    »Weil Werte
leer und kraftlos bleiben, wenn sie nicht zu positiven Gefühlsantworten führen.
Positivsein kann nicht allein gedanklich erfasst werden. Neutralisiert man das Gefühlszentrum
des Gehirns, dann verschwindet auch unsere Motivation. Der Grund dafür liegt in
der Evidenz des Fühlens. Stellen Sie sich dazu das Wohlbehagen in der warmen Badewanne
vor, Ihr Vergnügen beim Spiel mit den Enkelkindern, den Reiz eines Sonnenaufgangs
oder die Lust beim Sex. Bei Gefühlswerten handelt es sich um die einzige Art von
Erfahrung, die nicht zum unendlichen Regress des Hinterfragens führt, warum etwas
ein Wert sei. Alle anderen Werte können bestenfalls Mittel zum gefühlten Endwert
sein – Werkzeuge, Geld, Medikamente …«
    »Dann wäre
auch die Entscheidung für oder gegen den Holocaust nur Gefühlssache?«
    »Es ist
eine Entscheidung darüber, ob andere leiden müssen oder glücklich sind.«
    »Der Sinn
des Lebens würde nach dieser Definition worin bestehen?«, fragte der Dalai Lama.
    »In allen
Lebensbereichen positives Fühlen zu verwirklichen und negatives Fühlen zu vermindern,
immer im Zusammenspiel mit dem, was uns bewegt. Der Sinn der Schöpfung besteht in
der Ausdehnung des Glücks, um einen indischen Philosophen zu zitieren.«
    »Eine sehr
treffende Formulierung …«
    »Und weil
man dieses Ziel nur schwer als radikaler Egoist erreichen kann, wären wir erfolgreicher,
wenn alle miteinander kooperierten.«
    »Wie bei
der Moral?«
    »Glück und
Moral bedingen sich wechselseitig.«
    Der Dalai
Lama nahm augenzwinkernd seine Brille ab und ließ sie wie ein Theaterglas in Augenhöhe
durch das Studio wandern. »Also wieder mal alles eine Frage der richtigen Betrachtungsweise?«
    »Generäle
würden nach Möglichkeiten für den Frieden suchen. Politiker nach Methoden, wie man
besser kooperiert. Nachbarn, wo sie einander helfen könnten.«
    »Worauf
es letztlich ankommt, ist unser Gefühl der Verbundenheit mit der Menschheit?«
     
    Wir diskutierten noch eine Weile
darüber, ob man an Wiedergeburten glauben müsse (anscheinend nicht), oder an Gott
(nicht zwangsläufig, wie der Dalai Lama meinte). Wohingegen ich die Meinung vertrat,
dass die Existenz Gottes zwar nicht beweisbar sei, der Glaube aber gewisse Antworten
auf Fragen biete, die sonst unbeantwortet blieben. Ich zitierte Einstein – dass
kein Problem durch dieselbe Denkweise gelöst werden kann, durch die es verursacht
wird. Und der Dalai Lama gab mir insofern recht, als Gott sich vielleicht auf die
Position zurückgezogen habe, dass unbeirrbarer Glaube unterwürfige Sklaven erzeuge,
Agnostizismus müde Krieger, Atheismus Leute wie Stalin, der bloße Indizienschluss
auf Gott dagegen ungeahnte Kräfte mobilisieren könne.
    Als ich
das Studio verließ, hatte ich das Gefühl, meinen Job für heute erledigt zu haben


17
     
    Im Büro des Senders erwartete mich
ein Redakteur von TIME Magazine. Er erkundigte sich, ob er mir ein paar Fragen stellen
dürfe und ob ich mein Interview später autorisieren wolle. Ich sagte, dass ich es
gewohnt sei, frei zu sprechen und meinen Äußerungen selten etwas hinzuzufügen hätte.
    Nach so
viel Öffentlichkeit hatte ich nur noch das Bedürfnis, unterzutauchen. Greater New
York ist nicht der schlechteste Ort dafür. Man kann nach Staten Island gehen und
sich irgendwo anonym an den Strand setzen.
    Ich mietete
ein Zimmer in einer Pension, die von einer halb blinden ehemaligen Lehrerin bewirtschaftet
wurde. Mrs. Nightingale konnte aus drei Metern kein Fahrrad von einem Windhund unterscheiden.
Und diese Fehlsichtigkeit erwies sich als Vorteil, weil schon bald mein Konterfei
auf der Titelseite vom TIME Magazine prangen sollte.
    Meine Wirtin
glich verblüffend Graham Greenes rothaariger Tante Augusta in Die Reisen mit
meiner Tante. Sie färbte sich das Haar in grellen Farben und hielt sich für
die Nächte einen jungen Neger. Bevor Mrs. Nightingale fast erblindet war, hatte
sie mit Ben Johnson die halbe Welt bereist, ohne jemals schwanger geworden zu sein.
    Ich glaube,
manchmal nehmen Leser sich tatsächlich Romanfiguren zum Vorbild. Deshalb sollten
Autoren immer genau bedenken, welche Verrücktheiten sie mit ihren Geschichten in
die Welt setzen.
    Meine plötzliche
Berühmtheit brachte mich fast um. Was bringt Menschen nur dazu, im Blickpunkt stehen
zu wollen? Minderwertigkeitsgefühle? Eitelkeit? Geltungstrieb? Oder vielleicht dieses
irrationale und so gut wie unvorhersehbare Etwas in unserem Hinterkopf, das

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