Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
sich
manchmal meldet und uns sagt: Tu dies oder jenes?
Wenn ich
über die Strandpromenade mit ihren Boccia- und Picknickplätzen spazierte, von der
sich ein melancholischer Blick auf die Verrazano-Narrows Bridge bot, schlug ich
vorsichtshalber meinen Jackenkragen hoch und trug Schirmmütze und Sonnenbrille.
Bei Dämmerung oder tiefer Wolkendecke war das zwar lästig, aber immer noch besser,
als auf Schritt und Tritt erkannt zu werden.
Mrs. Nightingale
lud mich manchmal zum Essen ein, weil sie meinte, ich sei zu mager. Sie fütterte
mich mit Hühnersuppe und Steaks, so groß wie Schultornister. Abends saßen wir oft
draußen, dann spielte ihr Neger auf dem Banjo melancholische Südstaatenmelodien.
Es ging immer darum, dass die Schwarzen arme Sklaven waren und von den Großgrundbesitzern
gedemütigt wurden.
Ben Johnson
stammte aus Haiti. Er war beim Versuch, illegal in die Staaten einzuwandern vom
Boot gefallen. Die Küstenmarine hatte ihn aufgefischt. Mrs. Nightingale, die zufällig
am Kai stand, verbürgte sich für ihn, weil sie die Chance ihres Lebens sah. Sie
behauptete einfach, es sei ihr Koch.
Aber Ben
Johnson konnte keine Salatcreme von einer Champignonsuppe unterscheiden. Küchenarbeit
war ihm verhasst. Einmal sah ich, wie er sich auf der Terrasse eine halbe Flasche
Rum genehmigte. Er trank ihn aus einem Einweg-Plastikbecher, den man nicht spülen
musste. Dazu schluckte er winzige rote Pillen, die aussahen wie Himbeerbonbons.
»Was sind
denn das für Pillen?«, fragte ich, als Mrs. Nightingale unser Geschirr in die Küche
brachte.
»Oh, es
ist nur ein Voodoo-Zauber.«
Natürlich
wollte ich wissen, wie sein Zauber funktionierte. Aber Ben Johnson wollte partout
nicht damit herausrücken. Er zeigte nur immer geheimnisvoll grinsend auf die Bäume
vor der Terrasse und murmelte irgendeinen Blödsinn – dass dort die Geister seiner
Ahnen lebten, die mehr darüber wüssten oder ähnlichen Schwachsinn. Die Baumkronen
glichen tatsächlich Geistern und Gespenstern … und zwischendurch wurde mir richtig
unheimlich!
Erst, nachdem
ich ihm hoch und heilig versprochen hatte, niemandem ein Sterbenswörtchen zu verraten,
war er bereit, sein Geheimnis zu lüften.
»Du kannst
es auch mit Frauen treiben, bei denen du sonst nie einen hoch kriegen würdest.«
»Soll das
eine Anspielung auf Mrs. Nightingale sein?«
»Nein, es
gilt für alle Frauen.«
»Dann ist
es so was wie Viagra?«
»Es beschwört
die Geister unserer Ahnen. Beim ersten Mal träumst du, dass du eine Eselin schwängerst.
Und so fühlst du dich auch – wie ein riesiger Eselsschwanz«, lachte er. »Nach dem
Traum bist du der größte Gockel, der je auf einem Misthaufen gekräht hat.«
Er zerbröselte
eine der Pillen auf seiner Handfläche und ließ mich daran riechen.
»Pfui Teufel
…«
»Es sind
magische Kräuter, die nur in meiner Heimat am Pic la Selle gedeihen.«
»Und wie
lange hält die Wirkung an?«
»Einige
Jahre, vielleicht auch länger. Es kann sein, dass du die Geister im Laufe deines
Lebens noch drei- oder viermal beschwören musst.«
Wir blickten
schweigend aufs Meer hinaus. Für Ben Johnson schien die Angelegenheit damit erledigt
zu sein. Ganz weit draußen standen leichte Schaumkronen auf den Wellenkämmen. Manchmal
hätte man glauben können, dass sie von grauen Haifischflossen durchpflügt wurden.
»Ich halte
das alles für Humbug«, sagte ich. »Meiner Meinung nach gibt es keine Geister.«
»Dann probier’s
doch einfach aus – und warte, bis die Träume kommen.«
»Ist es
denn nicht gefährlich?«
»Nein, es
stärkt dich. Es macht dich zum Mann.«
Irgendwann,
während Mrs. Nightingale in der Küche rumorte, griff Ben Johnson in seine Jackentasche.
Plötzlich streckte er seine Faust aus – und als er sie öffnete, lagen drei rote
Pillen in meiner Hand.
»Wenn du
mal wieder auf Staten Island bist und brauchst noch welche, frag einfach nach Ben
Johnson.«
In dieser Nacht entschloss ich mich,
eine der roten Pillen zu probieren. Ich spülte sie mit einem halben Glas Wasser
hinunter; danach schlief ich schnell ein – und als ich zwei Stunden später erwachte,
war nichts passiert. Ich konnte mich an keinen Traum erinnern und alles war wie
immer.
Doch ein
paar Minuten später brach mir der Schweiß aus. Mein Herz begann wie rasend zu klopfen
…
Dann, von
einer Sekunde auf die andere, spürte ich plötzlich, dass ich unter einer riesigen
Eselin lag. Ihre Haut war rau und feucht. Sie atmete schwer und roch nach
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