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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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Dritten Welt
und die Gefahren der Klimakatastrophe und der Gentechnologie anprangerte. Ich nahm
nicht an, dass der Präsident wegen einer Erzählung in Form eines fiktiven Vortrags
von Jean Paul Marat gleich seine Politik ändern würde. Aber vielleicht erinnerte
er sich ja später eher an mein kleines Abschiedsgeschenk als an unser nicht ganz
einfach verlaufenes Gespräch.

Jahrhundert der Überschwemmungen oder Das Säkulum des Wassers
     
    Ein Vortrag zur Dreihundertjahrfeier
    der Französischen Revolution
    im Jahre 2089
    gehalten von Jean Paul Marat
     
    Ich bin zufrieden, verehrte Damen
und Herren – doch, doch, ich bin durchaus zufrieden mit der gegenwärtigen politischen
und gesellschaftlichen Lage. Glauben Sie mir, bitte glauben Sie mir das unbesehen…
    Man führte
mich mit verbundenen Augen in die Tuilerien, nahm mir das Tuch ab, gab mir einen
Stoß in den Rücken und sagte: »Sieh dich um, Marat. Was du hier erblickst, ist ein
neues Zeitalter, dreihundert Jahre nach deinem geschichtsträchtigen Auftritt. Und
nun gebrauche deinen Federkiel – urteile selbst, ob und welche Fortschritte wir
gemacht haben.«
    Mit diesen
Worten ließ man mich stehen. Man hatte mir gesagt, mein Urteil müsse vor den kritischen
Ohren der Öffentlichkeit bestehen, und der warnende Unterton darin war kaum zu überhören
gewesen. Kein Porridge zum Frühstück, keine Aperitifs vor den Hauptmahlzeiten. Ja,
ja, ich weiß. Nach wenigen Schritten, bei denen ich wie auf einem fremden Planeten
herumtappte, verstauchte ich mir prompt den Knöchel. Ich war den glatten Anstaltsgarten
und die gebohnerten Flure des Laboratoriums gewöhnt, nicht dieses natürliche Gelände
mit Buckeln, Ästen und feuchtem Laub. In der Anstalt pflegt man den Boden frei von
Unrat zu halten. Sauberkeit, klinische Sauberkeit, ist dort die erste Bürgerpflicht.
    Wäre Dr.
Guillotin noch unter uns, würde er gleich veranlassen, dass die Gärtner der Tuilerien
ihre zerstreuten Köpfe wohlgeordnet in den Körben unter dem Fallbeil wiederfänden.
Um des humanen Sterbens willen, nicht aus Grausamkeit, versteht sich, die alten
Hinrichtungsmethoden gehören aufs Schafott der Geschichte. Aber ich will nicht ins
Schwärmen kommen, so viel Ordnung verlangt einen hohen Preis.
    Ein junges
Mädchen half mir auf. Es hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Charlotte de Corday – Sie erinnern sich? Jenes liebenswerte Geschöpf, das so bezaubernd fürsorglich
mit meinem Leben umging! Wahrscheinlich wieder nur einer jener angeblichen Zufälle,
mit denen diese Scherzbolde im Institut mein Leben inszenieren. Sie versuchen mich
auf eine bestimmte Rolle festzulegen. Sie sagen: »Es sind deine Gene, Marat, die
dich zu dem machen, was du bist. Also steh dazu, versuche nicht ein anderer zu sein.«
    Im Vertrauen
gesagt: Ich mag es überhaupt nicht, wenn man mich Marat nennt. Ich selber nenne
dieses agitatorische Ungeheuer insgeheim immer nur den Klon. Schließlich ist er
Vergangenheit, und ich lebe. Wer also sollte hier das Abbild von wem genannt werden?
    Im Übrigen
hoffe ich, dass sich meine subtile Diktion wohltuend von den Schriften dieses schäbigen
Pamphletisten abhebt. Ich bin zwar historisch getreu zur Dreihundertjahrfeier der
Revolution aus einem Blutstropfen an jener Klinge rekonstruiert worden, die Charlotte
de Corday d’Amont diesem gutgläubigen Idioten im Bad zwischen die Rippen stieß.
Professor Amont vom hiesigen Institut für Gentechnik – ein echter Nachfahre Charlottes
übrigens – glaubte damit eine historische Schuld wiedergutzumachen. Aber dass ich
jetzt vor diesem Auditorium zur Feier der Revolution stehe und zu Ihnen sprechen
darf, dient doch nur dem zweifelhaften, wenn auch vielleicht recht amüsanten Kirmesvergnügen,
einer historischen Gestalt wiederzubegegnen.
    Aus diesem
Grunde liegt mir daran, noch einmal zu wiederholen: Ich bin nicht Marat! Ich bin zwar wirklichkeitsgetreu aus der DNS seines Blutstropfens rekonstruiert
– falls Sie den schäbigen angetrockneten dunkelbraunen Rest, den man in den Laboratorien
Professor Amonts von einer Klinge zweifelhafter Herkunft kratzte, wirklich so bezeichnen
wollen. Er wurde verschiedenen Einweich-, Schleuder-, Verdünnungs- und Reinigungsprozeduren
unterzogen, das heißt, zentrifugiert, verdampft, mit sterilem Wasser versetzt und
wieder angedickt – und nur Gott mag wissen, wessen Gene dabei wirklich zum Zuge
kamen (vielleicht ja die der hübschen rothaarigen Laborassistentin, als sie sich
beim Abheben des

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