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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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würde.«
    »Aber auch
in vielen anderen Bereichen hinterlässt Ihre Administration ein verheerendes Bild,
Mr. President. Und das bei allen Altlasten Ihrer Geschichte. Dem Landraub und der
Ausrottung und Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner. Den Bespitzelungen und
dem Verfolgungswahn der McCarthy-Ära. Dem Einsatz von Agent Orange in Vietnam. Den
Attentatsversuchen auf Fidel Castro.
    Das amerikanische
Recht erlaubt die Entführung von Ausländern, solange sie von einem US-Gericht gesucht
werden, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Der oberste Gerichtshof der USA hat
Kidnapping in anderen Ländern ausdrücklich erlaubt. Ihre Leute kommen also notfalls
auch in mein Wohnzimmer, Mr. President!
    Oder nehmen
wir Ihren Widerstand, den Klimawechsel zu stoppen. Die Militärausgaben der USA belaufen
sich auf annähernd 500 Milliarden Dollar. Das sind rund 50 Prozent der weltweiten
Rüstungsausgaben. Trotzdem haben über 50 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung.
Die Todesrate Ihrer Neugeborenen ist höher als auf Kuba. Die Zahl der Menschen,
die unterhalb der Armutsgrenze leben, liegt ebenfalls bei 50 Millionen. Im Central
Park ist mir heute ein fünfjähriger Junge namens James Moody begegnet. Er hatte
seit Tagen nichts gegessen. Sein Vater kann die Miete nicht bezahlen, weil er arbeitslos
ist. Ihre Wohnung besitzt nicht einmal ein Bad.«
    »Kein Bad?«,
fragte der Präsident. »Und sein Name ist James Moody? Condoleezza, bitte notieren
Sie …«
    »Trotz dieser
Armut leisten sich die Vereinigten Staaten eine überaus kostspielige Außenpolitik.
Laut Ihrer Doktrin ist Intervention ein unverzichtbarer Faktor des demokratischen
Fortschritts. Ob Kommunismus oder islamistischer Fundamentalismus – die Gegner wechseln,
aber die Methoden bleiben dieselben. Als seien Politiker Spieler, die ihre Verluste
mit immer höheren Einsätzen ausgleichen.«
    »Ich warne
in dieser Hinsicht vor allzu abstrakten Betrachtungen, seien sie nun philosophischer
oder spieltheoretischer Art, weil das alles wenig mit Alltagspolitik zu tun hat
…«
    »Überhaupt
wird das ganze System als wenig liberal angesehen, Mr. President. Amerikas Demokratie
sei in Gefahr, behaupten Ihre Kritiker. Diese Gefahr drohe nicht von außen, sondern
von innen. Und zwar von eigennützigen Plutokraten und selbstgerechten Theokraten,
von strategischen Panikmachern, von den Medien als Handlangern dieser Show und durch
Korruption, Gleichgültigkeit und Angst …«
    »Vergessen
wir bei solchen Übertreibungen nicht, dass wir in einem stabilen demokratischen
System leben«, wandte der Präsident ein.
    »Sie regieren
mit sogenannten Signing Statements , bei denen bereits geschlossene Vereinbarungen
nach Gutdünken des Präsidenten nachträglich ausgehebelt werden. Ihre Strategien
zielen auf Unterwanderung der Gewaltenteilung und der Freiheitsrechte, unter anderem
durch heimliche Abänderung von Gesetzesvorlagen. Ihre Regierungszeit droht eines
Tages als die Dunkle Phase der amerikanischen Politik in die Geschichte einzugehen,
Mr. President …«
    »Ein außerordentlich
komplexes Thema, das unser junger Freund hier anspricht«, unterbrach mich George
W. Bush und sah auf seine Armbanduhr. »Was glauben Sie, Condoleezza, haben wir noch
Zeit für die versprochene Pressekonferenz?«
    »Ich denke,
wir sollten uns wegen Ihrer Termine auf die guten Beziehungen zwischen unseren beiden
Ländern beschränken«, erwiderte die Außenministerin. »Und darauf hinweisen, das
wir auch weiterhin jedes offene Gespräch mit unseren Partnern jenseits des Atlantiks
schätzen – erst recht, wenn es sich dabei um so begabte Intellektuelle wie unseren
jungen deutschen Freund handelt.«
    »Meine Termine
…?«
    »Ihr Besuch
in Boston auf der Jahresfeier der Kriegsblinden, Mr. President.«
    »Ah, richtig,
die Kriegsblinden …«
    Er nahm
seufzend meinen Arm und begleitete mich zur Tür. »Was für ein Leben. Man sitzt mehr
im Hubschrauber als am Schreibtisch. Werden Sie niemals Präsident, Albert!«
     
    Da er wenig erpicht darauf sein
würde, noch mehr über seine politischen Fehler zu hören und weil es üblich ist,
ein kleines Präsent mitzubringen, schenkte ich George W. Bush während der Pressekonferenz
ein Manuskript, mit dem ich beim Wettbewerb im englischen Seminar unseres Gymnasiums
den Ersten Preis gewonnen hatte.
    Damals waren
die Juroren sehr beeindruckt gewesen von der prophetischen Kraft des Textes, seiner
Hellsichtigkeit und fein gesponnenen Ironie, mit der er die Armut der

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