Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
Contenance soweit zu bewahren, dass sie die Jacke nicht fallenlässt, sondern so auf einen Haken bugsiert, als würde sie jeden Moment explodieren.
„Sind Sie gekommen, um uns zu bedrohen? Wir sind zwei alte Menschen, die auf den Tod warten. Es gibt nichts, womit Sie uns bedrohen können“, sagt der Mann und weiß, dass es nicht stimmt.
Das Fräulein Niederbroich zieht die Brauen hoch und nimmt die Mütze von den straßenköterblonden Strähnen.
„Hatten Sie den Eindruck, ich bedrohe Sie? Sie sind zwei alte Menschen in der Mitte des Niemandslands. Geht Eyfalia noch weiter, oder hört die Welt hier auf?“ Sie lacht. „Machen Sie mir und Ihrem Bruder doch einen Tee, Frau Hanke. Ich habe Fragen an ihn.“
Sie zieht die nassen Stiefel aus – es sind Männerstiefel, wie auch ihre Hose eine Männerhose ist. Frau Hanke überlegt, wie sie die Frau wieder aus dem Haus bugsieren kann, doch dann fügt sie sich und setzt Wasser auf den Herd, wirft ein neues Scheit hinein.
Auf Socken geht Fräulein Niederbroich zum Küchentisch und setzt sich.
„Haben Sie hier gearbeitet? Im Wohnzimmer? Oder hatten Sie eine Werkstatt?“
Die beiden Alten tauschen alarmierte Blicke.
„Das ist lange her. Der Anbau – wir nutzen ihn nur noch für Holz“, sagt Frau Hanke zögernd.
„Haben Sie noch Puppen?“
Schnaufend tritt der Alte auch zum Tisch.
„Sie sind wegen der Puppen hier?“
„Ich bin wegen der Puppen hier. Aber ja.“
„Wollen Sie eine Puppe?“, fragt der Alte argwöhnisch.
„Haben Sie eine?“
„Nein.“
„Ich will keine Puppe. Dafür, dass ich als Kind nie eine hatte, habe ich ganz schön die Schnauze voll von Puppen.“ Sie streckt die Füße aus und trifft sein Schienbein. Er weicht zurück.
„Warum sind Sie hier?“
„Wegen einer Puppe. Einer Puppe, die kaputt ist. Die Sie erschaffen haben. Gab es seltsame Vorfälle mit Ihren Puppen?“
„Wie meinen Sie das? Wie seltsam können Vorfälle mit Puppen sein?“
Sie sieht ihm in die Augen, und er kann den Blick nicht erwidern. Sie alle wissen, wie seltsam Puppen sein können.
Er lässt sich auf den Stuhl sinken. Ihre Augen verfolgen ihn, obwohl er seine altersfleckigen Hände betrachtet. Sie spricht leise, mit einer Stimme, die sicher vorzüglich schreien kann.
„Puppen. Kleine, vollkommene Menschlein aus Porzellan. Blütenrein, vollkommener noch als Neugeborene. Mit kostbarem Haar und kostbaren Kleidern, die sie nie schmutzig machen. So eine Puppe hatte ich nie. Aber ich habe mich immer gefragt, ist man grausam, wenn man grausam zu einer Puppe ist? Wie viele Kinder üben Grausamkeiten und weiden sich am Porzellangesicht und den schimmernden Augen, in denen auch Tränen lauern könnten?“ Sie verstummt, oder vielleicht hat er sich eingebildet, dass sie gesprochen hat, und es war seine eigene innere Stimme?
Der Teekessel pfeift in die Stille.
Frau Hankes Hände zittern, als sie den Tee aufgießt. Es duftet, die getrockneten Blätter knistern.
„Gut“, sagt das Fräulein, „kurz hatte ich Angst, Sie hätten nur Kräutertee. Oder gar Kaffee.“ Sie schüttelt sich. „Aber das riecht nach einer guten indischen Mischung.“
„Ich gehe nach ihr sehen“, sagt Frau Hanke plötzlich, und sie meint nicht den Tee. Sie hat ihn nur kurz ziehen lassen, wieder etwas, wofür der ungebetene Gast ihr Respekt zollt. Das Teeei verlässt die weiße Porzellankanne, der Tee wandert goldbraun in die Tassen.
„Bleib“, sagt der Mann, und es ist keine Bitte. Aber was hat ein Bruder schon seiner Schwester zu befehlen, und so verlegt er sich aufs Flehen: „Bleib hier.“
„Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Herr …“ Erneut macht das Fräulein Niederbroich eine bedeutungsschwere Pause und zieht die beiden feinen blonden Augenbrauen hoch.
„Engelhardt“, antwortet er diesmal, und sein Akzent, ganz leicht nur, doch unverkennbar französisch, will diese Antwort Lügen strafen.
„Ich mag es nicht, wenn sie allein ist“, sagt seine Schwester, dann dreht sie sich um und geht. Der Blick des unfräuleinhaften Fräuleins folgt ihr in die Diele, doch sorgsam verschließt Frau Hanke die Tür hinter sich, bewahrt sich und ihren Weg vor den neugierigen Blicken.
„Um wen muss sie sich kümmern? Ihre Frau? Ist sie krank? Um eine Hündin oder eine verletzte Katze? Oder um eine Puppe?“, fragt sie dann lauernd.
„Nichts von alledem“, sagt der Mann und schiebt ihr eine Tasse Tee zu, als verabscheue er sich selbst dafür, dass er es so bereitwillig
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