Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
Tindwerch, den Burschen im Nacken zu packen. Ein Kopfstoß wäre dumm gewesen, er hätte sich nur die Nase am Schädel des Gegners zerdrückt. Also zog er ihn heran, beachtete die Schläge auf den Bauch nicht weiter, lehnte sich auf den Nacken des Jungen, so dass dieser sich verbeugte und schickte ihn dann mit einem Kniestoß zu Boden.
Tindwerch wandte sich um. Er war sich seiner Schwächen zu bewusst, um zu glauben, dass er herumwirbelte. Noch in der Bewegung sah er etwas auf sich zu fliegen. Er wollte den Arm hochreißen, um es abzuwehren, aber der treulose Geselle hing immer noch prickelnd herab. Das Schienbein krachte gegen Tindwerchs Kinn, und im nächsten Moment fand er sich auf dem Boden wieder. Er blickte zu dem älteren Chinesen auf, der mit einem feisten Grinsen den Fuß für einen Stampftritt in Tindwerchs Gesicht hob.
Keine Zeit für Raffinesse . Tindwerch riss die Rechte hoch und revanchierte sich für den früheren Angriff. Die Augen seines Widersachers quollen heraus, und er sackte mit einem Wimmern auf die Knie. Um Tindwerch drehte sich alles, aber er schaffte es ebenfalls auf die Knie, und es war praktisch eine Gnadentat, dass er dem Gegner dreimal ins Gesicht schlug, bis er ohnmächtig zusammensackte.
Das Publikum buhte und jubelte, je nachdem, auf wen es gesetzt hatte. Tindwerch blinzelte die Tränen aus den Augen, die der Tritt des Chinesen hineingezaubert hatte, und erhob sich stöhnend. Während er versuchte, Leben in seinen Arm zurückzumassieren, kam der Ansager zu ihm und versuchte, seine Hand in die Höhe zu recken. Da der Mann ebenfalls Chinese und noch dazu ein besonders Kurzgeratener war, nahm Tindwerch ihm die Arbeit ab Schulterhöhe ab.
Er ließ sich eine Weile bejubeln und beschimpfen und drehte sich dabei im Kreis. Die beinahe hundert Zuschauer waren eine bunt gemischte Truppe. Er sah dunkelhäutige Javaner in prächtiger Tracht und andere im Anzug, viele französische und chinesische Uniformen, schwarze Afrikaner und den einen oder anderen europäischen Arbeiter.
Dann trat eine Brünette zu ihm, die hier etwa so gut hinpasste wie Goldgriffe in ein Kneipenscheißhaus. Sie trug ein viel zu dünnes, rosafarbenes Sommerkleid mit gepufften Armen, und man sah ihr deutlich an, dass sie fror. Tindwerch unterzog ihren ausladenden Ausschnitt einer eingehenden Kontrolle.
„Monsieur Tindwersch, meine Augen, sind ’ier oben.“
„Jo“, sagte der Friese und sah grinsend auf. „Aber schöne Augen sehe ich jeden Tag.“
Ihr Gesicht passte zu ihrer Figur, schmal, mit hohen Wangenknochen und vollen Lippen. Die Narbe, die quer über die Stirn verlief, die Augenbraue teilte und dann hinter einer mit Rosen bestickten Seidenaugenklappe endete, machte sie noch attraktiver.
„Außerdem tausche ich dann zwei gegen eins, und davor hat mich mein Vater immer gewarnt.“
Die Frau schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. „Man ’at misch schon auf Ihre erfrischende Offen’eit vorbereitet. Isch bin Lilou. Bitte folgen Sie mir.“
Tindwerch genoss drei Schritte lang den Anblick, dann schloss er zu ihr auf und rollte dabei seine Schulter. Langsam kam das Gefühl zurück, begleitet von pochenden Schmerzen in Schädel, Arm, Bauchfett und Oberschenkel. Das Publikum teilte sich vor der Frau und schloss sich hinter Tindwerch. Einige Leute klopften ihm auf die Schultern, eine ältere Chinesin hingegen geiferte auf ihn ein, als habe er ihren Sohn verprügelt. „Was ja möglicherweise sogar der Fall ist“, dachte Tindwerch grinsend.
Dann begann der nächste Kampf, und die Aufmerksamkeit wandte sich wieder von ihm ab. Lilou führte ihn durch die Lagerhalle, die weitgehend leer stand, durch eine Tür und in eine weitere, in der aktuell gearbeitet wurde. Die Luft war dampfgeschwängert und dröhnte vor Zischen und Stampfen.
Tindwerch blickte sich interessiert um. Einige Männer steckten in fast drei Meter großen Eisengestellen aus Kolben, Stangen, Platten und breiten Griffklammern. Sie bewegten sich und riesengroße Kisten langsam, aber unaufhaltsam durch die Halle. Ein Schlauch an ihrem Rücken ragte bis zu hohen Decke hinauf, wo er über eine Rolle zu einem Verteiler lief. Der wiederum war über ein Rohr mit einer riesigen Dampfmaschine verbunden.
„Die neuesten Modell ’ sind elektrisch, aber die tun es noch ein paar Jahre“, erklärte Lilou über den Lärm hinweg. Tindwerch nickte, wusste aber nichts dazu zu sagen. Elektrizität war ihm unheimlich – etwas, das man nicht sehen oder hören
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