Eis und Wasser, Wasser und Eis
für eine Probemessung ist. Einer nach dem anderen eilt davon, die Besatzung zuerst, dann die Forscher. Ein paar von denen, die unter dem vagen Begriff »Gäste« laufen, schlendern hinterher: ein Fernsehjournalist und sein Kameramann, die beschlossen haben, auf dem vierten Deck bessere Blickwinkel zu suchen, ein Künstler mit Skizzenblock, der nach achtern geht, um dem dritten Eisberg noch eine Weile mit Blicken zu folgen.
Zum Schluss sind nur noch zwei Personen auf dem Vorderdeck. Eine Frau mit krausem Haar und ein Arzt. Leute, die momentan keine Verpflichtungen haben. Sie stehen jeder auf ihrer Fußbank, ein Stück voneinander entfernt, und beugen sich über die hohe Reling. Ein kühler Wind streift sie, kitzelt ihn in der nackten Halsgrube und hebt kurz ihr offenes Haar an.
»Wie ist es beim Kapitän gelaufen?«, will Anders wissen.
Susanne schaut auf den Horizont. Weitere Eisberge sind auf dem Weg, sie liegen glänzend wie Bergkristalle am Horizont.
»Ich habe einen Rüffel gekriegt. Offenbar habe ich das Nördliche Eismeer kontaminiert.«
Anders zieht die Augenbrauen hoch.
»Du hast das Nördliche Eismeer kontaminiert? Wie hast du das denn geschafft?«
Es dauert einen Moment, bis sie antwortet, dann wirft sie ihm einen schnellen Blick zu.
»Es hat sich so ergeben, dass ich einen Pullover ins Wasser geworfen habe. Und ein Handtuch. Aus Versehen.«
» Es ist hat sich so ergeben, dass du einen Pullover und ein Handtuch ins Wasser geworfen hast?«
»Aus Versehen.«
Sie klingt verärgert. Eine Weile bleibt es still. Anders blinzelt zum Horizont.
»Hast du das gesehen?«
Sie dreht den Kopf und sieht ihn an.
»Was?«
»Die Wasserfontäne. Ich glaube, da vorn ist ein Wal …«
Er sucht in seinen Taschen nach dem Fernglas, das er von Folke geliehen hat. Es ist ein Swarovski bester Qualität, über zehntausend Kronen wert, und deshalb hält er es fest umklammert. Aber er kann keinen Wal entdecken, wie angestrengt er das Fernglas auch hin und her bewegt. Vielleicht hat er sich selbst etwas vorgemacht. Darin ist er gut.
»Nein«, sagt Susanne nach einer Weile. »Ich sehe keinen Wal.«
Anders antwortet nicht, richtet stattdessen das Fernglas auf eine Insel in weiter Ferne. Bis vor Kurzem war sie dunkellila, aber im Fernglas wird sie braun. Nackte Erde. Vielleicht auch Lava. Arktische Wüste.
Er hält immer noch das Fernglas an die Augen gedrückt, als sie wieder das Wort ergreift.
»Habe ich am ersten Tag richtig gehört, stimmt es, dass du aus Landskrona kommst?«
Jetzt klingt sie nicht mehr sauer. Er lässt das Fernglas sinken.
»Du hast richtig gehört.«
»Ich bin in Landskrona geboren. Aber ich habe höchstens zehn Jahre dort gelebt.«
»Da hast du nicht viel versäumt.«
Sie lacht auf.
»Das glaube ich dir gerne.«
Ein weiterer Eisberg nähert sich, eine modernistische Skulptur mit scharfen Spitzen und klarblauen Hohlräumen. Während er vorbeitreibt, betrachten sie ihn schweigend.
»Was bist du eigentlich für ein Arzt?«, fragt Susanne schließlich.
»Allgemeinmediziner.«
Er tritt aufs Deck hinunter und steckt das Fernglas in die Tasche, macht sich bereit zu gehen. Sie steht immer noch auf ihrem Tritt, hat dem Meer jetzt aber den Rücken zugewandt.
»Das bedeutet wohl, dass du ein bisschen von allem kannst?«
Er lächelt. Das ist ja eine schmeichelhafte Art, es auszudrücken.
»Nun ja, das könnte man wohl so sagen.«
»Psychiatrie auch?«
Er beginnt zu ahnen, worauf sie hinauswill. Eine Psychotante. Auf die kann er gut verzichten.
»Doch, ja«, sagt er. »Psychiatrie auch.«
»Früher wollte ich Psychologin werden. Aber ich bin noch vor der Zulassung abgesprungen.«
Anders lächelt wieder, um zu verbergen, was er denkt – Aber sicher doch –, sagt aber nichts.
»Wie schön, dass wir gleich zwei Fachrichtungen auf einmal hier an Bord haben.«
Sie hüpft mit einem kindlichen Schlusssprung aufs Deck und schiebt die Hände in die Jackenärmel. Anders legt den Kopf leicht schräg und wartet auf eine Fortsetzung.
»Warum ist das schön?«, fragt er schließlich.
Sie schenkt ihm ein kurzes Lächeln.
»Einfach so.«
Und damit geht sie.
Ein paar Stunden später ist alles anders.
In der Bar herrscht Gedränge, obwohl es erst vier Uhr nachmittags ist. Magnus leert einen Krug Bier in einem Zug, es ist ein großer Krug, und das dauert seine Zeit, und um ihn drängen sich Forscher und Besatzung. Sie klatschen in die Hände, rhythmisch und laut, alle schauen Magnus und seinen
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