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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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also Björn Hallgren, der diesen Song gesungen hat … Adam in Evas verlorenem Paradies. Dass er das vergessen konnte. Andererseits wollte Eva nie diese Platten hören, wenn Anders zu Hause war, im Gegenteil, sie wurde wütend, wenn er sie nur anfasste. Vielleicht spielte sie sie, wenn er arbeitete. Irgendetwas musste sie ja tun, wenn Anders bei der Arbeit war.
    »Aber vielleicht ist das nicht gerade der passendste Song hier«, sagt sie gedämpft.
    Er versucht seine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen.
    »Warum nicht?«
    »Weil seine Schwester hier ist. Und sie sieht etwas bedrückt aus.«
    Ulrika dreht sich um, gibt ihm den Blick zur Tür frei. Susanne steht immer noch dort, an die Wand gelehnt, und hält ihr Glas in beiden Händen, aber jetzt hat sie die Augen geschlossen.
    »Ist das seine Schwester?«
    »Ja. Oder Halbschwester oder so etwas.«
    »Woher weißt du das?«
    »Habe ich irgendwo gelesen. Wollen wir zu ihr gehen?«
    »Nein«, sagt Anders und drückt Ulrika fester an sich. »Es wird das Beste sein, wenn wir sie in Ruhe lassen.«
    »Ja. Man kann ja eigentlich davon ausgehen, dass sie darüber hinweg ist«, sagt Ulrika. »Schließlich ist es schon so lange her …«
    Er will gerade etwas darauf erwidern, als ein Schrei alles übertönt.
    »Er blutet! O mein Gott, er blutet!«
    Das ist Katrin. Sie steht an der Bar und greift sich mit der Hand an die Kehle. Neben ihr steht Robert. Seine rechte Hand ist rot von Blut. Trotzdem lässt er den Henkel des zerbrochenen Bierkrugs nicht los, steht nur reglos da und starrt auf den Bartresen. Der mit Glasscherben übersät ist.
    Anders zeigt Ulrika eine Miene des Bedauerns, und sie lässt sofort seine rechte Hand los. Es hilft alles nichts. Der Doktor muss arbeiten.

Niemand ist in ihrer Kajüte gewesen.
    Das Fenster ist zum Meer hin geöffnet. Die Laken der Koje sind so glatt und weiß wie vorhin, bevor sie zu dem Fest gegangen ist. Der Spiegel im Bad ist sauber und glänzt. Ein leichter Duft nach Reinigungsmittel kitzelt die Schleimhäute der Nase. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken, und sie schließt das Fenster, steht einen Moment lang nur da und betrachtet einen Eisberg, der vorbeisegelt, überlegt, wie sonderbar es doch ist, dass die Euphorie der ersten Stunden vorbei ist, dass die Augen, die ein ganzes Leben lang auf diesen unerhörten Anblick gewartet haben, sich bereits an ihn gewöhnt haben. Dann zuckt sie mit den Schultern, schlingt die Arme um sich und blinzelt ein paarmal. Versucht sich zu sammeln. Warum ist sie hierhergekommen? Was wollte sie hier tun?
    Sich verstecken. Weil Blut auf dem Bartresen war.
    Sich verstecken. Weil sie dieses Lied gespielt haben.
    Sich vor ihren Erinnerungen verstecken, die von der Musik geweckt wurden. Sie kann spüren, wie sie sich genau in diesem Moment in ihrem Kopf drehen, sich drehen und winden, wie sie ihr ewiges Lächeln zeigen und züngeln.
    Sie lässt sich auf die Koje sinken, schleudert die Schuhe von den Füßen und legt sich hin. Schließt die Augen. Sucht nach der Dunkelheit. Aber hinter ihren Augenlidern ist es gar nicht dunkel, es ist rot, eine merkwürdige rotgraue Tönung, die jedesmal, wenn ihr Herz schlägt, in einem gelben Kreis explodiert. Sie kann eine Weile das Farbspiel betrachten. Und versuchen, sich nicht zu erinnern.
    »Es ist noch nichts passiert«, sagt sie laut zu sich selbst. »Bis jetzt ist noch nichts passiert.«
    Das ist ein tröstlicher Gedanke. Und er ist wahr. Denn wenn das Vergangene tatsächlich in uns lebt, wenn es unauslöschlich ist, dann betrifft das ja alles die Vergangenheit. Auch die Momente, in denen es noch nicht passiert war.
    Wie die Fensternische im Treppenhaus, die allein Susanne gehörte. Niemandem sonst.
    Das ist eine Selbstverständlichkeit, die der Rest der Familie akzeptiert. Niemand sonst kann schließlich aufrecht unter dem Dachbogen sitzen und die Füße auf der schmalen Fensterbank abstellen. Die anderen sind zu groß. Deshalb lächeln sie ihr nur zu, wenn sie an ihr vorbei die Treppe hinunterlaufen.
    »Hallo, Ausguck«, sagt Björn, wenn er auf dünnen Ledersohlen ins Erdgeschoss hastet. »Gibt es etwas zu berichten?«
    »Hallo, mein kleiner Hausspion«, sagt Inez, wenn sie an ihr vorbei zum Badezimmer eilt, die Arme voll mit frisch gewaschenen Handtüchern. »Siehst du etwas Interessantes?«
    »Wie schön, dass jedenfalls einer auf diesem Fahrzeug unterwegs in die Ewigkeit Wache hält«, sagt Birger, wenn er die Treppe hinunterhinkt, in der einen

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