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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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ihm ein Argument ein, um seine Annahme zu untermauern.
    »Sie haben vor einer Weile gepumpt. Es gibt Leute, die davon seekrank werden.«
    Sie nickt. Stimmt. Sie weiß, dass es Leute gibt, die seekrank werden, wenn der Steuermann das ganze Schiff von einer Seite auf die andere schaukeln lässt, um das härteste Eis zu brechen.
    »Aber das hier ist etwas anderes. Sie wirkt ein wenig …«
    »Ein wenig was?«
    »Merkwürdig.«
    Aha. Dann sind es wohl die Nerven , denkt er kurz, unterdrückt diesen Gedanken jedoch schnell. Er muss vorurteilsfrei bleiben.
    »Und wo ist sie?«
    »Auf dem Vorderdeck. Vor dem Labor.«
    Sie sitzt auf dem Deck, die Beine angezogen, den Kopf auf die Knie gelegt. Eine Sekunde lang packt ihn die Wut, und er will ihr sagen, dass sie aufstehen soll, nicht mit einer dünnen Jeans direkt auf dem kalten Deck sitzen, sie belehren, dass es nun einmal gute Gründe gibt, weshalb Frauen ihren Unterleib nicht der Kälte aussetzen sollen, und der Hauptgrund heißt Harnwegsinfektion, sieht aber in dem Moment, wie Ulrika sich neben Susanne hockt und ihr die Hand auf den Kopf legt. Das ist eine schlichte, aber so zärtliche Geste, dass die Wut verraucht und er mit hängenden Armen vor ihnen stehen bleibt. Susannes Haar ist offen, es verbirgt ihr Gesicht. Sie trägt keine Stiefel. Auch keine Jacke, nur einen dünnen blauen Pullover. Und ein Stück entfernt liegt ihr Erbrochenes. Er lässt sich auch in die Hocke sinken:
    »Hallo«, sagt er. »Wie geht es?«
    Sie murmelt etwas, so leise, dass er nichts hören kann.
    »Kannst du mich angucken?«, fragt er.
    Sie antwortet etwas Unverständliches. Er legt ihr die Hand auf die Stirn – eiskalt und feucht – und hebt vorsichtig ihren Kopf an. Einen Moment lang starrt sie ihn an, dann schließen sich langsam wieder ihre Augen. Er lässt los.
    »Wir müssen sie reinbringen«, sagt er zu Ulrika.
    Ulrika nickt und fasst Susannes rechten Arm. Er nimmt den linken. Es gelingt ihnen, Susanne halb in die Senkrechte zu hieven, ehe sie mit einer kleinen Bewegung ihrem Griff entgleitet und wieder aufs Deck hinuntersackt.
    »Will nicht …«, sagt sie.
    Anders und Ulrika schauen sich einen Moment lang an, dann beugen sie sich hinunter, packen erneut jeder einen Arm und ziehen sie hoch.
    »Du musst«, sagt Ulrika.
    Susanne ist sehr blass. Kleine Schweißtropfen laufen ihr über die Nase.
    Als sie in den Gang hineinkommen, wird sie gefügiger, fängt an zu gehen, wenn auch mit kleinen Schritten und halb geschlossenen Augen.
    »Mir ist nur übel geworden«, sagt sie, als sie in den Behandlungsraum kommen. »Jetzt ist wieder alles gut.«
    Anders schaut sie an. Er findet nicht, dass es gut aussieht. Ganz und gar nicht. Sie schwitzt immer noch und ist leichenblass im Gesicht, die rechte Hand zittert etwas, und auf der Brust hat sie Flecken von dem Erbrochenen.
    »Ja, schon, aber ich möchte dich trotzdem für alle Fälle untersuchen«, sagt er. »Und wenn nur, um mich selbst zu beruhigen. Setz dich hierhin.«
    Er streicht mit der Hand über die Pritsche, und sie setzt sich, aber dabei entdeckt sie die Flecken auf ihrer Brust.
    »Oje«, sagt sie und zieht sich den Pullover aus. Das ist eine hastige Bewegung, genügt aber, ihren Wangen wieder etwas Farbe zu verleihen. Dann scheint sie aufzuwachen. Sie zwinkert ein paarmal, sieht zuerst Anders an, dann Ulrika, wischt sich schließlich mit der Hand über den Nasenrücken. Sie trägt einen schwarzen BH, die Haut am Bauch ist sehr weiß. Als hätte sie hier nie Sonnenstrahlen abbekommen.
    »Habe ich mich übergeben?«
    Ulrika lächelt sie an, sagt jedoch nichts. Anders nickt.
    »Ja. Lässt du mich mal hinter dein Ohr gucken?«
    Ihre Hand fährt hoch, hinters Ohr.
    »Das Pflaster gegen Seekrankheit ist noch da.«
    »Ja, aber …«
    Sie sieht ihn an und scheint sich zu friedlichem Verhalten durchzuringen, hebt nur langsam die Hand und mit ihr das Haar, er beugt sich vor und drückt mit dem Zeigefinger auf das Pflaster, ohne eigentlich zu wissen, warum.
    »Kannst du dich bitte einmal hinlegen?«, fragt er dann und greift nach dem Stethoskop. Sie gehorcht widerspruchslos, er beugt sich vor und setzt den kleinen Kopf links an ihrer Brust an. Es klopft regelmäßig da drinnen, nur ein klein wenig schneller als normal.
    »Ich hole mal rasch einen sauberen Pullover aus deiner Kabine«, sagt Ulrika hinter ihrem Rücken.
    Ihr Herz beginnt zu rasen.
    »Nein«, sagt sie. »Nein …«
    Aber Ulrika ist bereits verschwunden.
    »Aber warum?«, fragt Ulrika

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