Eis und Wasser, Wasser und Eis
eine Weile später.
Sie stehen alle drei in Susannes Kabine. Susanne hat die Tür hinter ihnen geschlossen, ist aber nur wenige Schritte hineingegangen, steht da, den Rücken gegen die Schranktür gepresst.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Ich habe wirklich keine Ahnung.«
Die Frau ohne Körper liegt immer noch in der Koje. Die blauen Kniestrümpfe zeigen immer noch in beide Richtungen, und sie liegen so weit voneinander entfernt, dass es aussieht, als würde sie die Beine spreizen. Der Slip ist glatt und weiß. Er sieht neu aus, genau wie der BH.
»Ist das deine Unterwäsche?«
Anders ist überrascht, seine eigene Stimme zu hören. Er ist überrascht, dass er in dieser Kabine steht, dass er tatsächlich das sieht, was er sieht.
»Ja.«
Susanne bemüht sich, ganz normal zu klingen, das hört man, aber es nutzt nichts. Ihre Stimme ist dünn wie ein Faden.
»Auch dein Gürtel?«
Sie nickt, sagt aber nichts. Ulrika tritt einen Schritt vor und streckt die Hand nach dem Kopfkissen aus, hält jedoch inne, bevor sie es berührt, und zieht ihre Hand zurück.
»Kreuze statt der Augen«, sagt sie halblaut. »Und ein Gürtel um den Hals …«
Susanne ist wieder weiß im Gesicht geworden, tastet mit den Fingern nach der Schranktür. Vielleicht fällt sie gleich in Ohnmacht. Oder muss sich erneut übergeben.
»Setz dich«, sagt Anders und löst das Spannseil, das den Stuhl am Schreibtisch festhält. Sie lässt sich niedersinken, ohne zu merken, dass er es nicht mehr schafft, den Laptop wegzunehmen, aber das macht nichts, da sie sich gleich darauf vorbeugt und den Kopf zwischen die Knie presst. Das ist eine Bewegung, die er wiedererkennt, eine Bewegung, die ihm eigenartigerweise mehr Vertrauen zu ihr einflößt. Er zieht den Computer hinter ihrem Rücken weg und legt ihn auf den Schreibtisch.
»Ist das ein Scherz?«, fragt er dann.
Ein leises Geräusch kommt von Susanne, Ulrika geht einen Schritt auf sie zu und legt ihr die Hand auf den Rücken.
»Nein«, sagt sie. »Das ist kein Scherz. Wir müssen es Roland melden.«
»Nein«, sagt Susanne und richtet sich auf. »Nein, bitte …«
»Natürlich müssen wir das melden«, sagt Ulrika.
Trotzdem geht keiner, um Roland zu holen. Stattdessen bleibt es eine Weile still, und in der Stille sinken Ulrika und dann auch Anders aufs Sofa, sie sitzen dort halb vorgebeugt und starren auf die Koje und die Frau ohne Körper. Versuchen zu verstehen, was sie sehen.
»Ich hatte abgeschlossen«, sagt Susanne schließlich, »ich schließe immer ab.«
Ulrika nickt, Anders schweigt und rührt sich nicht.
»Ich schließe immer ab, seit das angefangen hat.«
»Angefangen?«
Ulrikas Stimme klingt auch dünn. Susanne nickt.
»Er war schon früher hier. Und hat alles Mögliche gemacht.«
Anders räuspert sich.
»Was hat er gemacht?«
»Das Bett zerwühlt. Alles aus dem Schrank herausgerissen. An die Wände gepisst …«
»An die Wände gepisst?«
»Ja. Deshalb habe ich den Pullover ins Meer geworfen. Und das Handtuch. Und hab Ärger mit Roland bekommen.«
»Aber, mein Gott …«
Es klingt, als traute Ulrika ihren Ohren nicht. Gut. Dann geht es nicht nur ihm so. Susanne merkt das, sie richtet sich schnell auf und schiebt sich die Haare aus der Stirn.
»Aber ich habe nichts gesagt. Ich hätte heute auch nichts gesagt, wenn nicht …«
Ulrika nickt.
»Ich verstehe.«
Was versteht sie? Anders wirft ihr einen schnellen Blick zu, doch sie sieht ihn nicht an, schaut stattdessen auf die Koje.
»Igitt«, sagt sie dann.
»Igitt, ja«, sagt Susanne, und ein kleines Lächeln huscht kurz über ihr Gesicht, während die linke Hand in die Hosentasche schlüpft und ein Haargummi herauszieht, mit dem sie sich schnell einen Pferdeschwanz bindet, ehe sie aufsteht. Jetzt sieht sie aus wie immer. Blass, aber nicht krankhaft bleich.
»Ich habe einen sehr niedrigen Blutdruck«, sagt sie. »Da kippt man manchmal um. Oder einem wird übel.«
Dann macht sie zwei Schritte hin zur Koje und zerstört die Frau ohne Körper mit ein paar hastigen Bewegungen, dreht sich um, den Arm voller Kleider, und sieht die beiden an.
»Danke für die Hilfe«, sagt sie. »Ich gehe jetzt raus und mache an Deck sauber.«
Zunächst wissen Anders und Ulrika nicht so recht, wohin sie gehen sollen. Sie bleiben auf dem Gang stehen und schauen Susanne zu, wie sie die Tür zur Besenkammer öffnet, Wasser in einen Eimer laufen lässt und einen Mopp holt. Sie wirft ihnen einen hastigen Blick zu, als sie wieder
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