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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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war, ganz im Gegenteil, sie glaubte, ein lebendiger Mensch zu sein, und deshalb schob sie die Glastür zum Laden auf und ging hinein, immer noch mit offenem Mund, wie anzunehmen war, und ging auf ihn zu. Nur um zu sehen, ob er es auch wirklich war. Nur um seine Stimme zu hören. Nur um sein Mienenspiel in allen Einzelheiten zu studieren, wenn er sie entdeckte, die erste Überraschung, einen Moment der Scham, die schnell besiegte Lust, einfach wegzulaufen, der kurze Blick nach links, der verriet, dass der ältere Mann ein Stück weiter, der gerade einem Kunden half, einen Mantel anzuprobieren, sein Vater war, und dann, nur einen Augenlidschlag später, der Triumph in seinem Blick, als ihm wieder einfiel, wer er war und wer sie eigentlich war, der Plan, der geboren wurde, der Rücken, der sich streckte und die linke Hand, die über den Tresen nach vorn geschoben wurde, diese linke Hand mit dem glänzenden Verlobungsring. Und dann das Lächeln, dieses richtig widerliche Lächeln, das sie tatsächlich wiedererkannte, dieses Lächeln, das sie schon zuvor gesehen hatte, ohne es je deutlich registriert zu haben, und das sie jetzt zurückschrecken ließ, während Jörgen sich vorbeugte und fragte:
    »Und womit kann ich der jungen Dame dienen?«
    Das war er. Das war seine Hand. Seine Lippen. Seine Stimme. Und einen Augenblick lang, nur einen einzigen Atemzug lang sah sie, spürte sie, wusste sie, dass er gefährlich war, sehr gefährlich, dass er der gefährlichste Mensch war, dem sie jemals begegnet war, und sie murmelte etwas in der Richtung, dass es ein Irrtum war, dass sie sich verlaufen hatte, es tut mir leid, bitte entschuldigen Sie die Störung, und im nächsten Moment war sie wieder draußen auf der Straße. Und sie lief. Lief den ganzen Weg bis zum Bahnhof, lief weiter, als sie in Landskrona angekommen war, durchlief das Wöchnerinnenheim und die Geburt, lief zurück nach Landskrona, lief immerzu herum in einer Art Endlos-Panik, lief zum Schluss nach Kalmar bis in dieses Zimmer zur Untermiete und dieses Bett, in dem sie endlich hatte vergessen können. Denn das stimmte. Jörgen war jetzt weg. Nur eine Erfindung. Ein Fantasiemonster. Jemand, der ihr niemals wieder wehtun könnte.
    Aber warum hatte sie damals so große Angst gehabt? Was hatte sie sich denn vorgestellt, was er ihr hätte tun können?
    Und jetzt, viele Jahre später, schlang Elsie die Arme um den eigenen Leib und ließ sich auf das Bett zurücksinken, saß in ihrer eigenen Umarmung da und wiegte sich einige Male hin und her, bis sie selbst merkte, was sie da tat, wie das aussah, dass sie sich wie eine Wahnsinnige benahm.
    »Verdammter Idiot!«
    Das klang wie ein Fauchen. Sie löste den Griff um sich selbst und zwinkerte schnell die Feuchtigkeit aus ihren Augen fort, die sich nur deshalb gesammelt hatte, weil sie minutenlang ohne zu blinzeln vor sich hin gestarrt hatte, stand dann auf und versuchte, wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Sie befand sich nicht in Kalmar. Sie war in London. Zusammen mit ihrem Sohn. Einem Sohn, der außerdem noch berühmt war, einer, nach dem die Mädchen kreischten, ein junger Bursche mit Geld auf der Bank und einem vorbildlichen Auftreten. Ein Sohn also, auf den man stolz sein konnte. Kein Schandfleck.
    Scham. Das Wort war nicht länger zu vermeiden. Sie war gezwungen, es zuzugeben. Sie hatte sich seiner geschämt. Sich für seine bloße Existenz geschämt. Sie war vor ihm geflohen. Und sie hatte Angst vor ihm gehabt, da er Jörgens Sohn war. Und das war ihr erst jetzt, nachdem er neunzehn Jahre alt geworden war, klar geworden. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht, verkroch sich vor sich selbst, während die Scham in Wellen über sie hinwegschwappte.
    »Großer Gott«, wimmerte sie vor sich hin. »Oh, großer Gott …«

»Here?«, fragte Björn, als das Taxi vor dem roten Reihenhaus anhielt.
    »Here«, bestätigte Caroline.
    Sie wandte sich ihm lächelnd zu, das war ein Lächeln, so verlockend, dass ihm schwindlig wurde und er einen Moment lang überrascht darüber war, dass es menschenmöglich sein konnte, so schön zu sein, so seidenweich, so wohlriechend …
    »Please«, sagte er. »Geh nicht. Lass mich nicht allein.«
    Sie lachte auf:
    »Please what?«
    Er hatte Schwedisch gesprochen. Und das war wohl auch besser so, denn er wollte doch gar nicht, dass sie wusste und verstand.
    »Sehen wir uns morgen?«, fragte er stattdessen auf Englisch.
    Sie lächelte noch mehr.
    »Natürlich sehen wir uns morgen … Das haben

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