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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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dann wieder nach seinem Weinglas. Redet ganz abgehackt, in bemüht beiläufigem Ton.
    »Gewesen?«
    Susanne beugt sich über ihren Teller. Doch. Sie hätte heute Abend in ihrer Kajüte bleiben sollen. Dann richtet sie sich auf und schaut John ins Gesicht, sagt, wie es ist.
    »Kaum.«
    Er verzieht das Gesicht.
    »Und wie ist man kaum verheiratet?«
    »Dann ist man drei Monate lang verheiratet. Vor fünfundzwanzig Jahren. Und du selbst?«
    Er lächelt:
    »Drei Jahre. Vor einer Ewigkeit.«
    Schweigen kommt zwischen ihnen auf, eine Ewigkeit an Schweigen. Schließlich räuspert sich John und sagt in gedämpftem Ton:
    »Ich bin wahrscheinlich nicht für die Ehe geschaffen.«
    Susanne spürt, wie sich ihre Rückenmuskeln entspannen, wie sie plötzlich in der Lage ist, den Nacken zu bewegen. Und jetzt kann sie ihn ansehen, sie sieht ihn an und lächelt ihm ohne Vorbehalt zu. Er ist nicht hinter ihr her. Er will keine Beziehung haben. Will vielleicht einfach nur mit ihr schlafen. Und dagegen hat sie nichts.
    »Gut zu wissen«, sagt sie. »Denn das bin ich wahrhaftig auch nicht.«
    Hinterher, nachdem das Dessert gegessen und der Wein ausgetrunken ist und sie sich die Jacken überziehen, um an Deck zu gehen, denkt sie kurz an Inez und Birger. Warum haben die beiden eigentlich geheiratet? Weil Inez jemanden brauchte, der ihr beim Reden zuhörte? Damit sie nicht mehr mit sich selbst reden musste? Weil Birger eine Aufwartefrau brauchte? Damit nicht so ein verwahrloster Junggeselle mit zerknitterten Hemden und ungeputzten Schuhen aus ihm wurde.
    Leider, denkt sie und zieht das Haar aus dem Kragen, war es wohl so. Sie nahmen, was sie kriegen konnten, und sie kriegten nicht viel. Keiner von beiden.
    »Jetzt wollen wir uns die Algen angucken«, sagt Ulrika und zieht ihren Reißverschluss zu.
    Das Licht ist immer noch sonderbar. Grau. Braun. Violett. Eine Farbe, die es eigentlich nicht gibt, die aber zugleich real ist und Susanne an andere Welten denken lässt, an Märchenwelten. Der Himmel hängt tief, das Eis ist übereinandergeschoben und bildet Wälle, braune Wälle mit leichten weißen Spuren darin. Die türkise Farbe ist weg. Nirgends mehr zu sehen.
    Sie zündet sich eine Zigarette an, während sie sich umschaut, hört dabei, wie Ulrika hinter ihrem Rücken einen kleinen Vortrag hält. Sie versteht so gut wie gar nichts. Ulrika doziert über Fluorkohlenwasserstoffe und die Ozonschicht, über Salzgehalt des Wassers und UV-Strahlung, unbekannte Organismen und das Alter des Eises. Aber das ist nicht so wichtig, dass sie es nicht getrost Ulrika überlassen könnte, es zu verstehen, und sich selbst damit begnügen, draußen auf dem Vorderdeck der Oden zu stehen und zu genießen, die Wärme von John neben sich zu spüren, zu betrachten, wie fasziniert Anders Ulrika ansieht, wie Jenny ihre Hand nach Ola ausstreckt und gleichzeitig mit den Stiefeln aufstampft, weil sie in ihrem Samstagabendrock eindeutig friert.
    Menschen, denkt Susanne. Ich bin ein Mensch. Und ich stehe mit anderen Menschen auf einem Schiff, das durch die Nordwestpassage fährt.
    Sie schließt die Augen, um diesen Gedanken zu verbergen, aber ihr Lächeln kann sie nicht verbergen.
    Es gibt sie, denkt sie. Und es gibt mich. Es gibt mich, und es darf mich geben.

Das Discogewummer von der Bar ist nur ein Schatten. Der Schatten eines Geräuschs. Wirklich zu hören ist Ulrikas Stimme, wie sie von den Eisalgen und ihrem Effekt auf die Ozonschicht berichtet, wie die Daten, die sie bei der vorherigen Expedition gesammelt hat, mit denen übereinzustimmen scheinen, die sie jetzt sammelt, und wie faszinierend diese Algen sind, dass sie tatsächlich eigene Welten in dem Eis bilden, dass man natürlich glauben könnte, es handle sich nur um gefrorenes Wasser und sonst nichts, sich darin jedoch Gänge und Höhlen befinden mit einer ganz eigenen Flora und Fauna, einer Flora und Fauna, die keiner anderen auf der Welt gleicht …
    Anders spürt, dass er lächelt, und beeilt sich, rasch wieder ernst zu werden. Er will ja nicht beschuldigt werden, herablassend zu erscheinen, aber als er sich umsieht, merkt er, dass auch noch andere lächeln. Jenny, die mit den Füßen stampft, um die Kälte zu vertreiben. John, der zustimmend nickt. Und Susanne, die ihren Blick irgendwo nach draußen auf das mit Algen übersäte Eis gerichtet hält und die plötzlich richtig glücklich aussieht. Mit einem Glanz in den Augen. Geröteten Wangen.
    »Und jetzt habt ihr sicher alles verstanden«, sagt Ulrika

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