Eis und Wasser, Wasser und Eis
muss aufstehen, während er vorsichtig Ulrikas Griff um seinen Arm löst.
»Das ist er«, flüstert Susanne. »Das ist er!«
Ein anderer Herbst,
ein anderer Winter
Die Vertretungslehrerin stand am Pult und umklammerte mit beiden Händen ihre Aktentasche, hielt sie wie einen Schild zwischen sich und die Klasse. Sie lächelte unsicher.
»Ja, wie ihr vielleicht schon gehört habt, ist Studienrat Lundberg krank geworden. Ich bin seine Vertretung. Ich heiße Ingrid Gunnarsson und …«
Ein Raunen ging durch die Klasse, kein Kichern, kein Lachen, nur ein Raunen, vielleicht vor Verwunderung, vielleicht vor Begeisterung darüber, dass Lundberg schließlich aufgegeben hatte, doch das genügte, um die blonde Vertretung verstummen zu lassen. Kurz darauf ergriff Henrik das Wort:
»Und was für eine Ausbildung hast du?«
Sie errötete. Alle konnten es sehen, Susanne auch. Henrik hatte eine Lehrerin geduzt und sie infrage gestellt, doch diese Lehrerin protestierte nicht, sie errötete nur und umklammerte ihre Tasche noch fester, machte dann einen unsicheren Versuch, sich zusammenzureißen.
»Darauf wollte ich gerade kommen. Ich werde mein Lehrerexamen im Frühling machen. In Geschichte und Politik.«
Henrik wippte auf seinem Stuhl hin und her und verschränkte die Arme vor der Brust. Ingalill übernahm:
»Dann hast du also eigentlich noch gar keine Ausbildung?«
In ihrem Tonfall lag ein leises Lachen verborgen, und jemand kicherte versuchsweise schon einmal hinter ihr, ohne dass sie aber mitgemacht hätte. Ingalill hielt ihre Mimik unter Kontrolle. Sie schaute Ingrid Gunnarsson ernst an, die einen Moment ganz still stehen blieb, ehe sie ihre Aktentasche öffnete und das Geschichtsbuch herausholte.
»Ich habe fünf Jahre an der Universität von Lund studiert, also …«
»Warum hast du dann noch kein Examen?«
Ingrid Gunnarsson errötete erneut, machte aber noch einen Versuch.
»Nun ist es ja nicht meine Ausbildung, mit der wir uns befassen wollen. Sondern eure. Aber ich denke, zuerst möchte ich einmal alle aufrufen.«
»Warum das denn?«
Das war Lasse, der neben Henrik saß. Ganz vorn links natürlich. Auch er hielt beide Arme vor der Brust verschränkt und wippte auf seinem Stuhl.
»Damit ich weiß, wie ihr heißt.«
»Warum willst du wissen, wie wir heißen?«
»Damit ich eure Leistungen beurteilen und euch Noten geben kann.«
Ingalill fing an zu lachen, und kurz darauf fielen mehrere Schüler ein. Was Ingrid Gunnarsson überraschte, das war zu sehen. Sie geradezu erschreckte. Susanne senkte den Blick auf die grüne Laminatplatte in ihrem Pult, um die ängstlichen Augen nicht sehen zu müssen. Aber sie konnte sich nicht die Ohren zuhalten. Sie musste sich anhören, was gesagt wurde.
»Und warum willst du uns Noten geben?«, fragte Henrik. Seine Stimme war jetzt leise, fast freundlich.
»Weil ich eure Lehrerin bin und weil wir ein Schulsystem haben, in dem …«
»Wo stehst du politisch?«
Jetzt war Henriks Stimme schärfer geworden. Aber Ingrid Gunnarsson hatte nicht vor, so schnell aufzugeben; sie ignorierte ihn, holte stattdessen das Klassenbuch heraus und schlug es auf.
»Bengt Adolfsson?«, fragte sie und hob ihren Stift, als wäre das ein ganz normaler Aufruf. Bengt kroch auf seinem Platz in sich zusammen, schaute zuerst Henrik, dann Ingrid Gunnarsson an, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Antwortete nicht. Es wurde ganz still in der Klasse. Siebenundzwanzig Personen befanden sich im Raum, aber niemand rührte sich, nicht einmal ein Atmen war zu hören.
»Henrik hat eine Frage gestellt«, sagte Ingalill plötzlich und merkte nicht, wie Henrik das Gesicht verzog. Vielleicht hatten sie verabredet, keine Namen zu nennen. Ingrid Gunnarsson richtete sich auf und tat, als hörte sie nicht.
»Bo Berggren?«
Bosse Berggren schaute grinsend zur Decke. Ingrid Gunnarsson sah ihn an.
»Bist du Bo Berggren?«
Kurzes Schweigen. Henrik räusperte sich leise.
»Entschuldigung«, sagte er dann. »Aber ich habe eine Frage gestellt, und ich habe keine Antwort gekriegt. Wir wollten wissen, wo du politisch stehst.«
Ingrid Gunnarsson ignorierte ihn erneut und trat ein Stück weit ins Klassenzimmer, stellte sich an Bosse Berggrens Pult und durchbohrte ihn mit ihrem Blick. Er grinste wieder unsicher, wich dann ihrem Blick aus und zupfte am Ärmel seines Pullovers. Das Bündchen war kaputt, ein kleiner Faden hing heraus. Er nahm ihn und wickelte ihn sich um den Zeigefinger.
»Also!«
Ingrid Gunnarsson
Weitere Kostenlose Bücher