Eis und Wasser, Wasser und Eis
Kopf, hält aber mitten in der Bewegung inne. Wie merkwürdig. Das Eis vor dem Fenster ist ganz braun. Als hätte jemand Erde daraufgestreut. Das gibt einen sonderbaren Effekt, wie ein Negativ, als wäre das Eis Erde und die Erde Eis. Und der Himmel hat eine ganz eigentümliche Farbe. Graulila. Daher die merkwürdige Farbe an der Decke.
Merkwürdig. Aber dafür wird sie sicher beim Essen eine Erklärung erhalten. Ulrika oder einer der anderen alten Polarfüchse weiß sicher, was das ist.
Aber als sie eine halbe Stunde später in die Messe tritt, in ihrer allerschönsten Bluse, hat sie die ganze Sache vergessen, sie bleibt in der Tür stehen und schaut sich um. Samstagsparty heißt an Bord der Oden tatsächlich Samstagsparty, das sieht sie und bereut augenblicklich, dass sie sich in der vorigen Woche davon ferngehalten hat. Die Mädchen aus der Küche haben weiße Tischdecken aufgelegt und die Servietten außergewöhnlich schön gefaltet, alle in der Essensreihe sind frisch gewaschen und haben sich zurechtgemacht, zumindest den Umständen entsprechend. Jenny trägt sogar einen Rock und Ulrika eine frisch gebügelte Bluse, die zwar bereits auf bestem Wege ist, aus der Jeans zu rutschen, aber dennoch von einer Art munterer Ambition zeugt, diesen Abend zu einem ungewöhnlich netten Abend werden zu lassen.
Susanne stellt sich hinten an und schüttelt ihr Haar etwas auf. Es ist immer noch feucht auf der Kopfhaut und wird vermutlich ziemlich kraus sein, bevor der Abend zu Ende geht, aber darum kümmert sie sich nicht. Denn ausnahmsweise ist sie bereit, nach außen und nicht nach innen zu schauen. Sie nimmt ein Tablett und langt nach dem Besteck, stößt dabei Viktor an, der vor ihr steht. Er dreht sich lächelnd um, es sieht so aus, als hätte auch er sich entschieden, seine schüchterne Selbstgenügsamkeit abzulegen.
»Entschuldigung«, sagt Susanne.
»Kein Problem«, erwidert Viktor mit breitem Lächeln. Dann holt er Luft und scheint sich zu entschließen, räuspert sich und fragt:
»Sie schreiben doch diese Krimis, oder?«
»Ja«, nickt Susanne, auch lächelnd. »Das stimmt.«
»Ich habe gestern eine Mail von meiner Mutter bekommen. Ich hatte ihr erzählt, dass Sie mit an Bord sind, und sie hat geschrieben, ich solle Ihnen ausrichten, dass sie Ihre Bücher so gern liest. Ich selbst habe zwar nie eines gelesen …«
Susanne gibt sich alle Mühe, das Lächeln beizubehalten, ohne zu kichern.
»Danke. Grüßen Sie zurück und danken Sie ihr bitte.«
»Und meine Großmutter auch«, erklärt Viktor ernst. »Meine Großmutter findet sie auch richtig gut.«
Susanne beugt sich über die Salatschüssel und saugt die Wangen ein, sie kämpft darum, das Lachen zurückzuhalten. John rettet sie. Plötzlich steht er hinter ihr, und sie zwinkert. Wie ist das möglich? Stand nicht Eduardo hinter ihr, als sie sich das letzte Mal umgedreht hat?
»Hallo«, sagt John lächelnd.
Sie lässt ein kurzes Lachen vernehmen und antwortet:
»Selber hallo.«
»Manchmal geben sie einem das Gefühl, als wäre man tausend Jahre alt«, erklärt sie eine Weile später. John schaut sie verwirrt an.
»Wer?«
»Die jungen Wissenschaftler. Viktor da hinten hat mir erzählt, dass seine Mutter und seine Großmutter meine Bücher so gerne mögen. Da habe ich mich uralt gefühlt.«
John zuckt mit den Schultern.
»Er ist ja auch noch keine dreißig. Und heutzutage ist man ja höchstens zwanzig, wenn man dreißig wird, wenn du verstehst, was ich meine. Mein Sohn …«
»Du hast einen Sohn?«
»Ja. Und eine Tochter.«
»Wie alt?«
Er schmunzelt:
»Sechsundzwanzig und neunundzwanzig.«
»Mein Gott. Manchmal bilde ich mir ja selbst ein, dass ich sechsundzwanzig wäre. Oder neunundzwanzig. Zumindest fühlt es sich so an.«
»Nicht, wenn man Kinder in dem Alter hat. Das kannst du mir glauben.«
Sie lächelt:
»Ich glaube dir.«
Eine Weile bleibt es still, John hebt sein Weinglas und prostet ihr zu, Susanne tut es ihm gleich. Kurz darauf lacht Ulrika, und Anders lächelt ihr zu, Jenny schließt halb die Augen und sieht Ola an, er streichelt sie mit dem Blick. Susanne unterdrückt einen Seufzer. Vielleicht hätte sie doch lieber in ihrer Kabine bleiben sollen, genau wie letzten Samstag.
»Bist du verheiratet?«, fragt John plötzlich, und sie muss zwinkern. Versucht Zeit zu gewinnen.
»Wer? Ich?«
»Ja«, sagt John und schaut ernst drein, ernster als nötig. »Du.«
»Nein.«
Schnell wischt er sich mit der Serviette den Mund ab, greift
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