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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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beugte sich über ihn. Bosse Berggren schaute zu ihr auf, warf dann Henrik einen kurzen Blick zu, schaute schließlich auf seinen Tisch hinunter und gab auf.
    »Ja.«
    »Lumpenproletarier!«
    Henriks Stimme war glasklar. Ingrid Gunnarsson drehte sich um.
    »Was hast du gesagt?«
    Henrik zögerte einen Moment, sein Blick irrte kurz umher. Dann richtete er sich auf.
    »Lumpenproletarier«, wiederholte er.
    »Aha«, sagte Ingrid Gunnarsson. »Und was meinst du damit?«
    Henrik straffte die Schultern.
    »Ich meine damit, dass Bosse Berggren zu der Sorte des Proletariats gehört, die ihrer Klasse keinen Nutzen bringt. Ein Lumpenproletarier ist laut Marx zu arm und unterdrückt, um das eigene Beste zu erkennen. Er begreift nicht, wie wichtig es ist, eine geschlossene Front zu bilden. Wir anderen aber schon, und deshalb werden wir bestimmt nicht auf irgendwelche Fragen antworten, solange du unsere nicht beantwortet hast.«
    Ingrid Gunnarsson errötete erneut.
    »Meine politische Ansicht ist meine Sache. Das geht dich nichts an.«
    Henrik stand auf. Er war im letzten Halbjahr sehr gewachsen, er war größer als Ingrid Gunnarsson, so groß, dass er auf sie hinabsehen konnte.
    »Deine politische Ansicht ist nicht deine Sache«, sagte er ganz ruhig. »Nicht, wenn du vorhast, uns in Geschichte zu unterrichten. Wir müssen wissen, wo du stehst, um deinen Unterricht beurteilen zu können.«
    »Setz dich«, sagte Ingrid Gunnarsson. »Setz dich sofort wieder hin!«
    Ihre Stimme war schrill geworden. Viel zu schrill.
    Sie hatte natürlich nicht die geringste Chance. Niemand hatte noch eine Chance in dieser Klasse, weder Schüler noch Lehrer. Man tat, was Henrik sagte, sonst war man geliefert. Wenn man nicht sowieso schon von Anfang an geliefert war. Wie Susanne.
    Es war still um sie geworden. Vollkommen still. Ihr Leben war zu einem Spiegelbild von Ingalills Leben vor einem Jahr geworden. Was natürlich eine gewisse Art von Gerechtigkeit bedeutete, das sah sie ein, das konnte sie sich selbst gegenüber auf diese neue, kühle Art und Weise eingestehen, aber das machte es auch nicht leichter. Andererseits war es auch nicht leicht gewesen, im Mai in die Schule zurückzukehren, gleich nach Björns Verschwinden. Da hatten sich die Mädchen zwar weiterhin um sie geschart, sie in den Arm genommen, bedauernde Worte geflüstert und ihr über die Wange gestrichen, aber sie hatte Schwierigkeiten gehabt, ihr Mitleid anzunehmen. Es juckte. Fühlte sich aufdringlich und unangenehm an. Doch als das Winterhalbjahr anfing, war es vorbei. Sie war zu einer Unperson geworden. Nicht existent. Alle schienen sie und Björn im Laufe des Sommers vergessen zu haben. Vielleicht lag es daran, dass sie älter geworden waren. Oder daran, dass sie auf dem Gymnasium anfingen. Susanne hatte den naturwissenschaftlichen Zweig gewählt, weil ihre Zensuren dafür ausreichten, aber das war vielleicht doch nicht so vernünftig, wie es schien. Die neue Klasse ähnelte in keiner Weise der alten. Die meisten Jungs waren zwar genauso picklig und tapsig wie die Jungs in der alten Klasse, aber einige waren anders. Henrik. Lasse. Erik Östberg. Und noch weitere. Lang und schlaksig. Messerscharf. Frisch gebackene und äußerst linientreue KFML- Mitglieder. Genau wie Ingalill. Und jetzt konnte niemand, der nicht in der kommunistischen KFML war, noch ein Wort sagen. Peter, der bei den Jungliberalen war, war ausgelacht und verhöhnt worden, bis er nach nur einer Woche den Zweig gewechselt hatte. Jetzt ging er auf den altsprachlichen Zweig und behauptete, so ging das Gerücht, er wollte Pfarrer werden. Und Marie-Louise, die bei den Sozialisten war, obwohl ihr Vater auf der Werft arbeitete, was sie per definitionem als Klassenverräterin stempelte, brach in Tränen aus, als Erik sie über den ganzen Flur verfolgte und von ihr verlangte, ihm zu erklären, warum die deutschen Sozialdemokraten Rosa Luxemburg verraten hatten. Sie wusste doch nicht einmal, wer Rosa Luxemburg war.
    Susanne war keine Klassenverräterin. Sie war etwas viel Verächtlicheres. Ein Kind der Bourgeoisie, das nicht begriffen hatte, wie unumgänglich die Revolution war. Lehrertochter. Schwester eines Rockstars. Und falls dieser Rockstar nun möglicherweise tot war, so war das noch lange kein Grund, mit hängendem Kopf herumzulaufen. Absolut nicht. Bereits zu Anfang des Halbjahres hatte Ingalill nach einem kurzen Blick in Susannes Richtung klargestellt, dass es keinen Grund gab, um Leute zu trauern, die hier in

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