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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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kämmen musste. Da sah sie sich selbst in die Augen und begegnete einem Schlangenblick in einem Menschenantlitz. Sie zog die Oberlippe hoch und entblößte die Zähne, zischte ihr Spiegelbild hasserfüllt an, bis sie plötzlich merkte, was sie da tat, und den Blick abwandte. Sich zwang, sich normal aufzuführen, den Kamm durch das feuchte Haar zu ziehen und die Haare hinter die Ohren zu streichen, zog dann ein sauberes Baumwollkleid an, das im Schrank gehangen hatte, seit sie aus Göteborg abgefahren waren, und schlüpfte mit den Füßen in ein Paar Sandalen. Sammelte die herumliegenden Kleider auf und stapelte sie auf den Sessel. Achtete darauf, dass der Rock ganz oben landete, dass er wie eine blaue Haut über dem Schmutz und der Unordnung darunter lag. Holte tief Luft und öffnete die Tür zum Gang. Wurde Elsie Hallgren. Funkerin. So ordentlich und zuverlässig, dass es gar nicht erst erwähnt werden musste.
    »Nun?«, fragte sie Maria, nachdem sie den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte. »Bist du so weit?«
    Maria nickte so voller Begeisterung, dass es ihr fast die Sprache verschlug.
    Und es war wirklich überwältigend. Elsie war schon früher in Bombay gewesen, zweimal sogar, dennoch blieb sie auf dem Kai stehen und blinzelte. Der Himmel hing grau und schwer von Wolken über ihnen, das Meer hinter ihnen glitzerte stahlgrau, dennoch musste sie die Augen zusammenkneifen, dennoch konnte sie es nicht zulassen, all diese Geräusche und Stimmen, all diese Farben, all diese Düfte auf einmal in sich aufzunehmen. Das hätte sie vernichtet. Aber sie war natürlich gezwungen, sich wie ein normaler Mensch zu benehmen. Maria zuliebe.
    »Dann wollen wir zusehen, dass wir ein Taxi kriegen«, sagte sie und hob ihren linken Arm etwas an, als stumme Aufforderung, sich einzuhaken. Maria schob ihren Arm unter Elsies, sagte jedoch nichts, sah sie nicht einmal an. Elsie folgte ihrem Blick. Maria schaute auf einen schrecklich mageren Mann, der tief gebückt unter einem riesigen Bündel lief. Er war so gut wie nackt, hatte sich nur ein Stück Stoff um die Hüften geknotet. Vermutlich war das die einzige Kleidung, die er besaß. Ein weißes Stück Stoff, sonst nichts.
    »Das sieht aus wie eine Windel«, sagte Maria atemlos.
    »Ja«, nickte Elsie. »Das stimmt.«
    Das Taxi sah aus, als hätte es gebrannt. Körnig und fleckig. Die Fahrertür ließ sich nicht schließen, der Fahrer hatte eine Hand am Steuer, die andere hielt er aus dem heruntergekurbelten Fenster, hielt die Tür damit nonchalant an Ort und Stelle. Dort, wo das Handschuhfach sitzen sollte, klaffte ein schwarzes Loch, aber er selbst war äußerst sauber und ordentlich, mit hellblauem Turban und einem weißen kurzärmligen Hemd, so frisch gebügelt, dass es aussah, als wäre er soeben einer Wäscherei entstiegen. Er lächelte ununterbrochen und redete ununterbrochen, aber sein Englisch war so unbegreiflich, dass Elsie nur etwas als Antwort murmelte. Maria sagte nichts, saß nur kerzengerade da und schaute sich um, musterte verblüfft das Innenleben des Autos, ließ ihren Blick auf dem Schaltknüppel ohne Knopf ruhen, schwenkte ihn dann weiter zum Boden und schnappte nach Luft, als sie direkt vor ihren Füßen ein Loch sah, groß wie eine Handfläche, schaute wieder hoch und Elsie an, die diskret den Kopf schüttelte. Sag nichts. Kommentiere nicht den Zustand des Autos, nicht einmal auf Schwedisch. Maria schluckte und ließ ihren Blick noch eine Runde drehen. Jemand hatte neue Sitzbezüge aus Baumwollstoff genäht, dunkellila mit Goldmuster. Die Federn des Sitzes drängten sich bereits durch das dünne Gewebe, und Maria fummelte immer wieder an einem kleinen Loch, piekste mit dem Zeigefinger hinein, bis Elsie ganz einfach ihre Hand nahm und wegzog.
    »Oh«, sagte Maria und blinzelte, als wäre sie gerade aufgewacht. »Entschuldigung.«
    Elsie lächelte nur als Antwort, drehte sich dann um und schaute aus dem Fenster. Das Auto fuhr sehr langsam, so langsam, dass sie bequem daneben hätte hergehen können, aber das machte nichts. Es war sogar schön. Sie fuhren ganz langsam durch Bombays Hafenviertel, aber die Glasscheibe des Autos schützte sie vor der Welt draußen, vor all den tausend oder zehntausend Menschen, die sich auf den Straßen drängten, vor allen Männern mit weißen kurzärmligen Hemden und unzufrieden gerunzelten Stirnen, vor allen Frauen in schimmernden Saris in Kirschrot und Türkis, in mattem Grün und verlockendem Violett, in rostroten Farbtönen und

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