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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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auf den Stuhl neben dem Telefon, biss auf einen Fingernagel und schaute sich auf dem Flur um. Alles sah aus wie immer. Fast wie immer. Der rote Wilton-Teppich lag etwas schief, das niedrige Bücherregal war mit einer dünnen Staubschicht bedeckt, genau wie die beiden verblichenen Drucke darüber, die Drucke, die dort seit dem Tag hingen, an dem sie geboren wurde. Vielleicht sogar noch viel länger.
    Es knackte ein wenig im Hörer, jemand sagte weit entfernt etwas auf Englisch, aber sie konnte es nicht verstehen.
    »Hallo«, versuchte sie es, aber niemand antwortete; das Einzige, was zu hören war, das war erneut leises Knacken. Sie fiel ein wenig in sich zusammen und schaute sich noch einmal die Drucke an. Wo war der Pudel geblieben? Es hatte doch auf einem der Bilder einen Pudel gegeben, einen kleinen schwarzen Pudel, der auf einem grauen Bürgersteig neben einem grauen Menschen durch eine graue Stadt ging! Jetzt war er weg. Vollkommen verschwunden. Da waren nur noch ein grauer Bürgersteig, ein grauer Mensch und eine graue Stadt.
    Sie verzog verächtlich das Gesicht. Wahrscheinlich hatte sie den Pudel nur erfunden. Ihn ins Bild hineingeträumt. Denn es konnte doch nicht sein, dass sich der Pudel in Atome aufgelöst hatte und verschwunden war. Oder dass er aus dem Bild gehüpft war, sich auf der Rückseite des Rahmens hindurchgezwängt hatte und sich jetzt hinter dem Bücherregal versteckt hielt. Diese Art von Logik überließ sie liebend gern Inez. Besten Dank. Sie selbst hatte noch alle Tassen im Schrank. Oder wie das nun hieß.
    »Hallo«, rief jemand weit entfernt, und einen Moment lang stieg in ihr die Panik auf, das blanke Entsetzen darüber, dass sie gezwungen sein würde, alles zu erzählen. Hätte sie sich vorbereiten müssen? Vielleicht. Wenn sie jemand anderer gewesen wäre. Aber sie war nun einmal Susanne, und Susanne konnte sich nicht vorbereiten, zumindest nicht auf so etwas wie das hier. Sonst würde sie nur über die Worte stolpern und aus dem Konzept kommen. Falsch klingen. Alles durfte passieren, nur das nicht. Sie durfte es sich nicht erlauben, falsch zu klingen.
    »Elsie«, rief sie und drückte den Hörer fester ans Ohr. »Elsie, bist du es?«
    »Inez?«
    Es war Elsies Stimme. Offensichtlich. Klar und deutlich, nur mit einem leichten Echo hinter diesem einen Wort.
    »Nein. Ich bin es, Susanne.«
    Elsies Stimme zitterte, schwankte zwischen Hoffnung und Furcht.
    »Haben sie ihn gefunden?«
    Susanne schluckte.
    »Nein. Das ist nicht der Grund, weshalb ich anrufe.«
    Elsie war ein oder zwei Atemzüge lang still, seufzte dann, und das Echo ihres Seufzers flog von der Stelle auf einem Meer in weiter Ferne, wo sie sich im Augenblick befand, in den Flur in einem roten Haus in der Svanegatan in Landskrona.
    »Weshalb dann?«
    Susanne schloss die Augen.
    »Es ist wegen Inez …«
    »Ja?«
    »Sie ist krank. Sie ist krank geworden.«
    Einen Moment lang wurde es still, und hinter geschlossenen Augenlidern konnte Susanne Elsies Gesicht vor sich sehen. Die gerunzelte Stirn. Den zusammengekniffenen Mund. Ihre Blässe. Genauso hatte sie den Monat lang ausgesehen, als sie schweigend an Inez’ Küchentisch gesessen und auf eine Nachricht gewartet hatte, die nie kam, bevor sie eines Tages aufgestanden war und im Telegrammstil mitgeteilt hatte, dass sie weggehen würde. Mit einem Schiff von Göteborg nach Bombay fahren. Um das Kap der Guten Hoffnung, jetzt, wo der Suezkanal geschlossen war. Ein Kap voller guter Hoffnung. Und dann hatte sie gelacht, ein trockenes leises Lachen, das erst aufhörte, als Inez sie anschrie.
    Vielleicht war sie auch gaga. Genauso gaga wie ihre Schwester.
    »Ist es was Ernstes?«
    Susanne öffnete die Augen und betrachtete die Druckgrafik vor sich. Immer noch ohne Pudel.
    »Ich weiß nicht …«
    »Ist es Krebs?«
    Susanne kippelte vor lauter Verwunderung ein wenig mit dem Stuhl.
    »Nein. Das nicht. Sie hat sich am Arm verletzt, aber …«
    »Am Arm?«
    »Ja, aber …«
    »Liegt sie im Krankenhaus?«
    »Ja. Sie ist erst einmal hier in Landskrona im Krankenhaus, aber …«
    Sie verstummte. Wand sich. Wusste nicht so recht, wie sie das sagen sollte.
    »Aber was?«
    Elsies Stimme klang scharf. Fast wie die von Inez. Eine leichte Wut flammte in Susanne auf, erlosch gleich wieder, hinterließ nur einen Brandgeruch.
    »Sie wollen sie heute Nachmittag ins Sankt Lars einweisen.«
    Es wurde still in der Leitung. Ganz still. Susanne wartete einen Augenblick, dann fuhr sie sich mit der Hand unter

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