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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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fest, dass sie tatsächlich fror und dass es regnete. Sie hielt eine Hand hoch, die Innenfläche zum Himmel gewandt. Doch ja. Es regnete. Welch ein Glück, dass Björn seine Regenjacke mithatte, weil sie dafür sorgte, dass sie jeden Morgen ordentlich zusammengerollt ganz unten in seiner Schultasche lag. Sie selbst konnte so ein bisschen Regen gut vertragen. Das war überhaupt kein Problem.
    Um sie her war es vollkommen still, wie ihr nun auffiel. Absolut still. Niemand ging den Bürgersteig entlang und knirschte mit den Schuhen auf Kies. Kein Auto brummte weiter hinten. Und die Häuser in der Straße standen dunkel da, kein Mensch außer ihr hatte Licht eingeschaltet. Die Nachbarn waren wohl immer noch bei der Arbeit. Aber die Straßenlaternen brannten, gelb und freundlich beugten sie sich über den glänzenden Asphalt und bestrichen ihn mit Gold. Wenn Björn kam, würde er also auf einer Straße aus Gold kommen. Was nicht mehr als recht und billig war. Ganz gleich, was die Leute auch sagten.
    Sie schüttelte den Kopf und verzog ärgerlich das Gesicht. Die Leute! Die Leute waren nicht recht gescheit, das war alles. Boshaft. Eklig. Fast verrückt. Besonders Birger, dieser verdammte Idiot, der ganz und gar aufgehört hatte, mit ihr zu reden, nur weil sie aufgehört hatte, mit ihm zu reden. Ganz zu schweigen von Susanne, die mit wippendem Busen und saurer Miene herumlief und so tat, als wäre sie ein Teenager. Ein kleines Mädchen. Lächerlich! Oder Elsie, die inzwischen überhaupt nichts mehr von sich hören ließ, nicht einmal mehr den Unterhalt schickte. Ja. So war es. Björns Ersparnisse wuchsen nicht mehr, weil seine leibliche Mutter die Unterhaltszahlungen eingestellt hatte. Ein Skandal, das war der richtige Begriff. Es gab kein anderes Wort für eine Mutter, die sich irgendwo in der Weltgeschichte herumtrieb und so tat, als hätte sie keinen Sohn mehr.
    »Scheiße!«, sagte sie laut. »Verdammte, verfluchte Scheiße!«
    Einen Moment lang blieb sie stehen und schaute sich um. Hatte jemand sie gehört? Stand einer der Nachbarn in seinem dunklen Haus auf der Lauer und hörte, wie sie fluchte? Was sie nicht wundern würde. Oder irgend so ein widerlicher Typ, der sich in den Schatten weiter die Straße hinunter versteckte? Ein Fremder, der es merkwürdig fand, dass sie an ihrem Gartenzaun stand und fluchte?
    Sie warf den Kopf zurück. War ja auch egal. Sie wusste schließlich, wer sie war und was sie tat, warum sollte sie sich darum scheren, was andere Leute dachten. Außerdem hatte niemand sie gehört. Es war immer noch still um sie herum. Keine Schritte. Kein Motorengeräusch. Nur still und dunkel, genau wie es an einem Mittwochnachmittag im November sein sollte.
    Sie zwinkerte. November. Das Wort ließ einen Traum in ihr aufsteigen, den sie vor langer Zeit einmal geträumt hatte, zu der Zeit, als sie noch schlief. Noch schlafen konnte. Mädchen in einer kleinen Traube vor dem Haus. Ein Trupp schmachtender, sehnsuchtsvoller Mädchen in äußerst merkwürdiger Kleidung, die dort standen und zum Küchenfenster spähten … Sie schüttelte den Kopf. Ein dummer Traum. Vielleicht war es gar nicht ihr eigener. Wahrscheinlich war es Elsies. Doch, das konnte stimmen. Elsie war der Typ, der so etwas Dummes träumen konnte. Weil sie selbst so dumm war. Verdreht. Einfältig. Gaga, wie Björn sagen würde, sollte er es wagen, so etwas Gemeines über seine Mutter zu sagen. Was er aber natürlich niemals tun würde. Er war nicht so einer. Er war ein lieber Junge, viel lieber als manch anderer …
    Wieder schlang sie sich die Arme um den Leib. Fror. Fror heftig, und trotzdem hatte sie das Gefühl, gar nicht zu frieren. Als läge das Gefühl außen, als wäre es jemand anderer als sie, der fror. Einen Moment lang schlug sie die Augen nieder, schaute auf ihre eigenen Arme und stellte fest, dass sie nackt und bloß waren. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen, und der dünne weiße Flaum, der ihren Arm bedeckte, stand plötzlich zu Berge. Sie schaute weiter an sich herunter und sah, dass sie ein Nachthemd trug. Nachthemd und Schürze. Merkwürdig.
    Inez löste den Griff um sich selbst, schwankte einen Moment und fasste dann einen Entschluss. Sie würde nach ihm suchen. Die Pforte quietschte, als sie sie öffnete. Sie würde zu seiner Schule gehen und ihn nach Hause holen. Denn er musste doch nach Hause kommen. Björn musste ganz einfach nach Hause kommen!

»Stockholm radio, Stockholm Radio«, sagte die Telefonistin.
    Susanne sackte

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