Eis und Wasser, Wasser und Eis
Einzige, den sie jemals geliebt hat. Das ist traurig, aber so ist es nun einmal. Wir können nichts daran ändern. Aber das bedeutet ja nicht, dass du es nicht wert wärst, auch geliebt zu werden. Das bedeutet ja nicht, dass du nicht geliebt wirst. Björn hat dich geliebt. Ich liebe dich. Und Birger liebt dich.«
»Birger?«
Das klang wie ein Schnauben. Elsie lächelte.
»Ja. Birger liebt dich auf seine Art. Das glaube ich. Davon bin ich überzeugt. Er weiß nur nicht, wie man das zeigt. Aber das ist nicht das Wichtigste. Am wichtigsten ist, dass du irgendwann lernst, dich zu verteidigen.«
Susanne ballte die Fäuste in ihren Handschuhen.
»Ich mich verteidigen? Wie soll ich mich denn verteidigen können?«
Elsie blieb wieder stehen. Drehte sich zu Susanne um, steckte die Hände in die Manteltaschen und sah sie an.
»Du musst dich verteidigen. Du bist es wert, verteidigt zu werden.«
Susanne blieb einen Moment lang stumm, schluckte dann und schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich bin es nicht wert, verteidigt zu werden. Ich bin es nicht einmal wert zu leben. Das hat Inez gesagt. Meine Mutter.«
»Inez liegt im Sankt Lars. Du nicht.«
Susanne blickte auf. Schaute sich um. Sah plötzlich den großen Weihnachtsbaum mit seinen Hunderten von Lichtern, der mitten auf dem Stora torget in Nässjö stand. Sah, wie der Schnee im Licht der Straßenlaternen glitzerte. Sah ein Auto vor dem großen Hotel vorfahren und ein junges Mädchen aussteigen. Ein junges Mädchen im Abendkleid. Das könnte ich sein, dachte sie schnell. Ja. Ich könnte ein junges Mädchen in einem langen Kleid sein. Nächstes Jahr werde ich das sein.
Sie lächelte Elsie an.
»Ich werde mich verteidigen«, sagte sie. »Du musst mir beibringen, wie man das macht.«
»Ich werde dir das wenige beibringen, was ich kann«, sagte Elsie.
Björn war fort. Verschwunden. Verschluckt von einem småländischen Wald.
Trotzdem kam er hin und wieder zu Elsie. Schlich sich in ihre Gedanken und tauchte in ihren Träumen auf, lief dicht hinter ihr, wenn sie allein war. Sie ließ ihn kommen. Leistete keinen Widerstand. Ließ alles geschehen, was geschehen sollte.
Jetzt stand er hinter Elsies Rücken in Inez’ Küche und schaute wie sie auf die Svanegatan. Es war ein bedeckter Tag. Regen hing in der Luft. Der Garten sah müde und nackt aus. Es war immer noch Winter, aber bald, sehr bald würde es Frühling werden.
»Das hast du schön gemacht«, sagte Björn.
Elsie lächelte, antwortete jedoch nicht. Aber er hatte recht. Sie hatte es schön gemacht. Inez’ Küche sah wieder aus wie zu der Zeit, als Björn noch hier wohnte. Neue Pelargonien standen auf der Fensterbank, blank polierte Äpfel lagen in der Zinnschale, und die weiße Serviette, die als Deckchen diente, lag gestärkt und frisch gebügelt darunter. Und hinten auf der Arbeitsplatte wartete ein Blech mit frisch gebackenen Heißwecken darauf, dass Inez zurückkam, dass sie sich an den Küchentisch setzen und eine Tasse Kaffee trinken würde, wie schon tausend Male zuvor.
»Du hättest nicht sterben dürfen«, sagte sie.
Björn seufzte hinter ihrem Rücken, hauchte seinen kalten Atem über ihren Nacken.
»Woher weißt du, dass ich tot bin?«
»Du hättest es nicht wollen dürfen.«
»Woher weißt du, dass ich es so wollte?«
Elsie ging nicht darauf ein.
»Du hättest uns zumindest ein Grab geben können, zu dem wir gehen können. Nicht meinetwegen. Aber für Inez.«
»Inez hat ein Grab, zu dem sie gehen kann. In sich.«
Elsie schnaubte.
»Jetzt bist du gemein.«
»Nein«, widersprach Björn. »Das bin ich nicht.«
Sie warf den Kopf in den Nacken und wandte sich ab.
Die Tür zu Susannes Zimmer stand weit offen. Der Stuhl am Schreibtisch war halb herausgezogen, ansonsten war der Raum in perfektem Zustand. Die Tagesdecke auf dem Bett leuchtete weiß und frisch gewaschen. Auf dem Nachttisch lag ein Buch mit rotem Umschlag ordentlich zugeschlagen. Im Fenster blühte ein Usambaraveilchen. Keine Kleider waren über die Möbel geworfen, keine Zeitung lag halb aufgeschlagen auf dem Boden, keine kaputten Strümpfe hingen halb aus dem Papierkorb.
Der Raum sah aus wie ein Zimmer aus einem Möbelkatalog. Unbewohnt.
Susanne hatte angefangen, sich zu verteidigen. Auf ihre Weise.
Das Schlafzimmer war nicht ganz so ordentlich. Jemand hatte auf der geblümten Tagesdecke gesessen und sie danach nicht wieder glatt gestrichen. Eine zerknitterte Hose lag über der Armlehne eines Sessels, und ein Paar Schuhe, ein
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