Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
Vom Netzwerk:
Schatzkiste an Plänen, Scherzen und Ideen im Sanatorium angesammelt, jetzt öffnete er sie und ließ den Inhalt funkeln. Lydia lächelte, und die Mädchen lachten über seine Einfälle, aber nach ein paar Monaten wurde seine ständige Fröhlichkeit ein wenig ermüdend. Es war anstrengend, nie in Ruhe am Küchentisch sitzen und seine Hausaufgaben machen zu können, die ganze Zeit von Ernst unterbrochen zu werden, der wie der Kuckuck in einer Kuckucksuhr auftauchte – wie Elsie es eines Morgens auf dem Weg zur Schule einmal ausdrückte –, um ihnen das eine oder andere mitzuteilen. Sie würden so bald wie möglich nach Malmö ziehen, denn in Malmö gab es Architekturbüros, die Leute suchten. Nein, er wollte sein eigenes eröffnen, und jetzt wollte er nur noch wissen, ob ihre Hoheiten, die Gräfinnen Inez und Elsie, immer noch zurück nach Göteborg wollten oder ob sie in Skåne zu bleiben wünschten. Sie sollten entscheiden, er stand voll und ganz zu ihrer Verfügung. Die Villa, die er bereits in Orup entworfen hatte und die bald gebaut werden sollte, ganz gleich, wohin sie nun zogen, hatte viele Vorteile – nun ja, wenn er ehrlich sein sollte, dann war sie wirklich ein kleines Meisterwerk –, aber jetzt wollte er von den Mädchen wissen, ob sie etwas dagegen hätten, in einem kleinen Turm übereinander zu wohnen. Was ja bedeutete, dass eine einen besseren Blick hatte als die andere, aber das konnte man vielleicht dadurch regeln, dass sie jeden Monat das Zimmer tauschten. Oder? Ach, wie langweilig sie doch waren, hockten immer nur über ihren Büchern. Er hatte zu leben gewusst, als er noch jung war …
    Nach ein paar Monaten bekam Lydia tiefe Ringe unter den Augen und zwei scharfe Falten zwischen den Augenbrauen. Außerdem lief sie die ganze Zeit mit einem entschuldigenden Lächeln herum, beide Hände um eine Tasse Kaffee geklammert. Sie brauchte Kaffee, viel Kaffee, sonst würde sie sich ganz einfach nicht wach halten können. Die Mädchen wussten, woran das lag, wussten aber gleichzeitig, dass man nicht darüber reden konnte. Lydia bekam ja keine Nacht genug Schlaf. Ernst brauchte immer weniger Nachtschlaf – der Rekord lag bei eineinviertel Stunden –, und wenn er nicht mit seinen Plänen und Projekten beschäftigt war, dann wollte er lieben, lautstark, lange und intensiv. Inez und Elsie wachten beide von seinem Gebrüll auf, aber sie redeten nie darüber, zogen sich nur die Kissen über ihre Gesichter, an denen der Ekel abzulesen war, und versuchten die Geräusche auszusperren.
    Aber heute Nacht würde es auf jeden Fall ruhig bleiben, dachte Inez, als sie die Hand auf die Klinke der Wohnungstür legte. Vorausgesetzt, dass Ernst nicht irgendeine glänzende Idee kam, während er sich in Göteborg befand. Dann konnte er irgendwann gegen drei Uhr anrufen und erklären, dass er beschlossen hatte, auf irgendeinem Schiff nach Südamerika oder nach Indien zu fahren. Was ihr nur recht wäre. Sie würde ihn nicht einmal vermissen.
    Lydia hatte sich bereits ihr Nachthemd angezogen und sich fürs Bett zurechtgemacht, war aber noch nicht schlafen gegangen. Sie saß in Morgenmantel und Pantoffeln am Schreibtisch. Korrigierte sicher Aufsätze. Sie korrigierte immer Aufsätze.
    »Wo hast du Elsie?«, fragte sie und schaute Inez über die Brille hinweg an.
    »Sie kommt gleich«, antwortete Inez und drehte ihr den Rücken zu, während sie den Mantel aufhängte. »Sie hat ihre Schuhe vergessen …«
    Lydia erwiderte nichts, nickte nur und beugte sich wieder über die Hefte. Inez lehnte sich an die Wand und zog die Überschuhe aus. Ihr ganzes Leben lang würde sie sich an diesen Augenblick erinnern, ihre eigene weiße Hand an der grauen Tapete, der Mantel, der auf seinem Bügel schaukelte, als sie dagegenstieß, wie sie das Gesicht verzog, als sie feststellte, dass sie eine Laufmasche im Strumpf hatte. Das war die dritte in einem Monat. Und die Strümpfe zum Maschenaufnehmen abzugeben war teuer …
    In dem Moment klingelte es an der Tür. Inez hielt inne, warf dann einen Blick ins Schlafzimmer. Lydia saß mit offenem Mund da, stand aber nicht auf, ließ ihren Füllfederhalter nicht los. Erstaunt. Genauso erstaunt wie Inez. Wer konnte so schlecht erzogen sein und um elf Uhr abends an der Tür klingeln?
    Es gab natürlich nur eine Antwort auf diese Frage, das wusste sie, auch wenn sie es sich nicht erlaubte, den Gedanken zu Ende zu denken. Das konnte nur der sein, der kommt, wann er es will. Die Gestalt mit dem breitesten

Weitere Kostenlose Bücher