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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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Grinsen überhaupt.
    Sie trat einen Schritt zur Tür und öffnete. Draußen standen ein Pfarrer und ein Polizist.
    »Guten Abend«, sagte der Pfarrer. »Entschuldigen Sie die Störung. Ist Frau Hallgren wohl zu Hause?«
    Inez schloss die Augen, während sie einen Knicks machte und die beiden hereinließ, doch das nutzte nichts. Sie konnte die Ohren nicht vor Lydias Schrei aus dem Schlafzimmer verschließen. Auch sie hatte verstanden.
    Ernst hatte sich vor eine Straßenbahn gestellt und war überfahren worden. Das war unbegreiflich, aber eine Tatsache. Es war ein paar hundert Meter vom Bahnhof entfernt passiert. Er hatte auf dem Bürgersteig gestanden, den Hut in den Nacken geschoben, und sich umgeschaut, als er plötzlich einen Schritt auf die Straße gemacht hatte, direkt auf die Straßenbahnschienen. Das war ein ruhiger Schritt gewesen, wie die Augenzeugen berichteten, er hatte sich nicht davorgestürzt, ganz und gar nicht, das durften sie nicht glauben. Es hatte eher so ausgesehen, als hätte er nach dem richtigen Weg gesucht. Aber die Straßenbahn war nur ein paar Meter entfernt gewesen, und der Fahrer – der übrigens einen schweren Schock erlitten hatte – hatte keine Chance gehabt zu bremsen. Ob der Architekt Hallgren vielleicht Probleme mit den Augen hatte?
    Lydia saß reglos auf dem Plüschsofa, ohne ein Wort zu sagen. Inez nahm ihre Hand und streichelte sie, schüttelte dann den Kopf.
    »Nein«, antwortete sie leise. »Mit den Augen nicht.«
    Birger hatte zwar den Griff um die Armlehnen gelockert und war auf seinen Sessel zurückgesunken, hatte aber noch nicht aufgegeben.
    »Ich wusste gar nicht, dass du dich für Elektronengehirne interessierst«, sagte er und legte den Kopf schräg.
    Inez richtete sich auf, es dauerte ein paar Sekunden, bevor sie sah, dass das Technische Magazin im Fernsehen lief. In der Sendung ging es um Elektronengehirne.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte sie.
    Birger lächelte:
    »Das ist mir schon klar. Aber wäre es nicht langsam an der Zeit, ins Bett zu gehen?«
    Inez war selbst verwundert über ihren Widerstand.
    »Geh du nur«, sagte sie in ihrem freundlichsten Ton. »Ich finde das mit den Elektronengehirnen interessant. Sehr interessant.«
    Birger schaute zunächst verwundert drein, dann zuckte er mit den Schultern.
    »Ja«, sagte er schließlich, »das könnte schon etwas sein, womit man sich beschäftigen sollte.«
    Er richtete seinen Blick auf den Bildschirm.
    »Aber ehrlich gesagt«, fuhr er dann fort, »glaube ich nicht, dass ich das verstehe. Du etwa?«
    Inez schloss die Augen und gab auf. Sie würde ihn an diesem Abend nicht loswerden. Nicht, bevor er eingeschlafen war.
    »Nein«, sagte sie und stieß unwillkürlich einen leisen Seufzer aus. »Du hast sicher recht. Es ist wohl Zeit, ins Bett zu gehen.«

Die Nacht wölbte sich um das rote Ziegelhaus. Der Raureif kroch in den Garten, glitt über den Rasen und glasierte jeden Halm, fing jeden Wassertropfen in der dunklen Erde der Beete ein, trennte ihn von den anderen und verwandelte ihn in einen Diamanten, kroch dann gewandt wie eine Eidechse über die Stämme der Bäume und malte die dunklen Konturen der Zweige funkelnd silberweiß.
    Inez lag im Schlafzimmer wach und starrte in die Dunkelheit. Birger schlief bereits tief neben ihr, er murmelte etwas und bewegte die Füße. Vielleicht lief er im Traum, jagte oder wurde gejagt. Was ja auch gleich war. Am nächsten Morgen würde er sowieso behaupten, dass er nicht geträumt habe, sein ganzes Leben lang behauptete er, dass er noch niemals geträumt habe. Inez hatte viele Vorträge über das Unwahrscheinliche so einer Behauptung gehalten, aber das hatte ihn nie gestört. Er träumte nie. Punkt. Ende. Aus.
    Sie selbst lag reglos da, ein Arm über dem Kopf, und atmete möglichst langsam. Diese Haltung selbst war eine Lüge, eine alte Lüge, die sie sich angewöhnt hatte, als die Kinder noch klein waren. Zu der Zeit war sie gezwungen gewesen, so zu tun, als schliefe sie, um Birger auf Abstand zu halten, das war die einzige Möglichkeit, seine Hände, seine Stimme und seine Sturheit auf Abstand zu halten. Und Inez brauchte jeden Abend einen Moment für sich allein, einen kurzen Zeitraum, in dem sie sich der annähern konnte, die sie wirklich war. Tagsüber war sie fröhlich, voller Tatendrang und schlagfertig, eine Frau mit rosigen Wangen und lachenden Augen, fleißig und zuverlässig, eine moderne Mutter mit dem Einkaufskorb auf dem Fahrrad, eine Hauswirtschaftslehrerin, die

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