Eis und Wasser, Wasser und Eis
schimpfen.
Inez hatte so oft an diese Geschichte gedacht, dass sie alles vor sich sehen konnte. Sie wusste, dass es ihre eigenen Bilder waren und dass sie vielleicht überhaupt nichts mit dem zu tun hatten, was wirklich passiert war. Trotzdem konnte sie die Überzeugung nicht abschütteln, dass es genauso gewesen war. Also steht eine blasse, magere Frau mit Knoten im Nacken schüchtern von einem Fuß auf den anderen trippelnd auf dem frisch gewaschenen Flickenteppich in der Küche von Birgers Mutter. Sie ist unsicher und will im Grunde genommen gar nicht, denn für so ungemein begabt hält sie diesen Schustersohn ja eigentlich gar nicht, er ist nur sehr fleißig und ungewöhnlich beharrlich, so hartnäckig, dass sie gar nicht so recht sagen kann, wie es dazu kam, dass er ihren Widerstand gebrochen und sie dazu gebracht hat, sich auf diese Expedition aufzumachen. Aber ein Versprechen ist ein Versprechen, besonders für jemanden, dem Jesus begegnet ist, deshalb räuspert sie sich schließlich und ergreift das Wort.
Am Spültisch steht die Mutter des Jungen und wischt sich mit dem Schürzenzipfel die Augenwinkel, ihr ist es peinlich, dass sie diejenige ist, die sie nun einmal ist und dass sie hier wohnt, wo sie wohnt, dass ihr die Nase läuft und dass im Spülbecken Kartoffelschalen liegen, dass der Schuster eine Zeitung auf den Küchentisch geworfen hat – das sieht ja so schlampig aus – und dass ihr Sohn sie hintergangen hat, indem er ohne Vorwarnung seine Lehrerin mit nach Hause gebracht hat, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, den Boden noch einmal zu schrubben und die Gardinen zu waschen.
Und am Küchentisch sitzt ein unrasierter Schuhmacher und saugt die Wangen ein, er murmelt etwas von Schulgeld und teuren Büchern, aber nur bis zu dem Moment, als die Lehrerin des Jungen anfängt, von der Foreningen Jultomtarna, dem Verein der Weihnachtsmänner, zu erzählen und ihrer Großzügigkeit gegenüber minderbemittelten Jungen. Vor langer Zeit war der Schuster einmal gezwungen gewesen, in einem gestreiften Anzug von der Wohlfahrt herumzulaufen, und seit dieser Zeit hasst er den Verein der Weihnachtsmänner so tief und von ganzem Herzen, dass er sich schließlich aufrichtet, dann aufsteht und sich mit den Knöcheln auf dem Küchentisch abstützt. Er ist – verflucht noch mal – nicht so arm, wie er aussieht. Und ohne richtig zu wissen, wie es vor sich geht, gelingt es ihm im nächsten Satz, sich selbst davon zu überzeugen, dass er es sich natürlich leisten kann, den Bengel in die Schule zu schicken, und wenn es bis zum Abitur sein muss. Das sollen sie nur sehen, die alten Weiber im Verein der Weihnachtsmänner und alle anderen Weiber in der Stadt!
Und an der Tür steht ein sehr aufmerksamer zehnjähriger Junge in kurzer Hose und selbst gestrickten Kniestrümpfen, hält seine Mütze umklammert und lässt den Blick von einem zum anderen wandern. Er sagt nichts, aber er lenkt sie alle. So ist er, und das ist seine Macht. So ist er immer gewesen.
Dennoch reagierte Birger mit einem gewissen Beben, als die aufsehenerregenden Hallgren-Zwillinge mit ihren lockigen Haarschöpfen und wippenden Röcken irgendwann Ende der Vierzigerjahre in der Oberschule von Landskrona auftauchten, aber das war ein Beben, das sich schnell in Faszination und eiserne Entschlossenheit verwandelte. Eine von ihnen musste er haben. Ob nun Elsie oder Inez, spielte keine Rolle, das hat Elsie immer gewusst, Hauptsache, es war eine von beiden.
Nicht, dass er der Einzige war, der diesen Entschluss gefasst hätte; das hatten mindestens vier aus dem zweiten Jahrgang und sechs aus dem ersten bereits im ersten Halbjahr. Die meisten hatten unendlich viel bessere Voraussetzungen als Birger. Einige waren sehr gut erzogen und konnten sich in einer Art aufführen, dass die Mädchen vor Begeisterung erröteten, andere waren wohlhabend und selbstsicher, wieder andere sahen nicht schlecht aus, und überdies war der eine oder andere bereits mit Filmstarcharme und instinktiven Verführungskünsten ausgestattet. Birger war weder das eine noch das andere. Er war ein ziemlich tollpatschiger Schüler des zweiten Jahrgangs, der ständig über seine eigenen Füße stolperte, da der eine aufgehört hatte zu wachsen, als ihn im Alter von zwölf Jahren die Kinderlähmung ereilt hatte. Er war von kurzem Wuchs und gewöhnlich, und außerdem hatte er die Tendenz, die Leute zu langweilen, indem er in allen Einzelheiten ausführte, was er gerade in der Schule gelernt hatte.
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