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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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ebenso Lebensnotwendiges wie das Mark in ihren Knochen und etwas ebenso Unsichtbares, etwas, das sie am Leben hielt und dem man dennoch am besten keine Gedanken widmete.
    »Stimmt.«
    »Und, hast du sie nicht gefragt?«
    »Natürlich habe ich sie gefragt.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Dass sie es noch nicht wisse, natürlich.«
    Lydia erwiderte nichts. Inez hob ihre Kaffeetasse an.
    »Sie können sie ja selbst fragen. Sie wohnt im Strand Palace Hotel in London. Ich habe die Telefonnummer.«
    Endlich wich Lydia ihrem Blick aus.
    »Nein«, sagte sie. »So habe ich es nicht gemeint. Ich habe mich nur gefragt.«
    Inez’ Absätze klapperten laut auf dem Marmor der Treppenstufen, als sie ging. Das war schön, das war ein Geräusch, das zu dem Tag passte, ja, zu ihrem ganzen Leben. Sie schob die Glastür im Hauseingang auf, blieb dann aber auf dem Bürgersteig stehen und zog ihr Tuch heraus, faltete es sorgfältig zu einem Dreieck und band es sich um den Kopf, schloss alle Knöpfe ihres Mantels und zog sich ihre Handschuhe an. So. Jetzt war sie zu allem bereit, was auch kommen mochte. Versucht es nur, dachte sie düster. Kommt doch. Wenn ihr euch traut.
    Sie schüttelte den Gedanken wieder ab und ging los, mit weit ausholenden Schritten und geradem Rücken. Die Handtasche schlug ihr gegen die Hüfte, und nach kurzer Zeit geriet sie außer Atem, aber nicht so sehr, dass sie langsamer hätte werden müssen. Stattdessen zog sie jeden Schritt noch ein wenig weiter in die Länge und stellte mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass sie zumindest nicht schwitzte. Vielleicht waren es die Flüche, die sie abkühlten, diese Flüche, die mit jedem Schritt, den sie machte, an die Oberfläche stiegen. Scheiße. Verdammter Mist. Verflucht. Sie musste lächeln und nickte einem bekannten Gesicht auf der anderen Straßenseite zu, einem Gesicht ohne Namen, das vermutlich einem Elternteil irgendeiner dieser verfluchten Schülerinnen gehörte, mit denen sie sich herumschlagen musste, einer dieser kleinen Idioten, die kaum wussten, wo bei ihnen zu Hause der Herd stand, eines dieser albernen Kichermädchen, die glaubten, sie seien so etwas ganz Besonderes, dass sie nie im Leben Essen kochen müssten. Ha! Als kleiner Teenager konnte man sich das noch einbilden, aber wenn man erst zwanzig war und ein Kind hatte, dann stand man auf jeden Fall am Herd. Da alle Kerle offensichtlich erblich bedingt nur dazu taugten, den Mund aufzureißen und herumzuschreien, und da sie immer nur noch nörgeliger und lauter wurden, wenn man ihnen nicht alle vier Stunden das Maul mit Essen stopfte.
    Ich gehe, dachte Inez. Ich schmeiße alles hin und haue einfach ab.
    Der Gedanke war so fremd, dass sie mitten im Gehen anhielt, auf der Stelle festfror und einige Sekunden lang nur vor sich hin starrte, bevor sie sich eilig nach links wandte, einem Schaufenster zu. Es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass es eine Papierhandlung war, dass sie auf irgendwelche Musterkarten starrte. Danke für die Anteilnahme sowie für das ehrende Geleit zur letzten Ruhestätte meines Gatten.
    Die Glückliche, dachte sie spontan, bekam aber sofort so heftige Gewissensbisse, dass sie sich umschauen musste. Auf der anderen Straßenseite gingen einige Frauen, aber sie guckten nicht in ihre Richtung, konnten ihre Gedanken nicht lesen.
    Sie nahm ihren Weg wieder auf, aber jetzt langsamer und mit kleineren Schritten. Sie musste sich beruhigen. War gezwungen, sich zu beherrschen. War gezwungen, ebenso ruhig und nett zu sein wie zu der Zeit, als Björn zu Hause war. Denn zum Schluss war es ihr tatsächlich geglückt, sie hatte nicht ein Wort dazu gesagt, dass er noch spätabends verschwand, und hatte so getan, als hätte sie nicht wach gelegen und gewartet, bis er schließlich mitten in der Nacht nach Hause kam. Hatte keinen Kommentar abgegeben, als er sich weigerte, morgens die Hafergrütze zu essen, die sie gekocht hatte, und hatte nur gelächelt und sich seinem Wunsch gefügt, dass sie ihn nicht zur Fähre begleiten sollte. Sie war ruhig und nett gewesen, auch als er seinen Dufflecoat anzog und einen Schal um den Hals wickelte, hatte sich zurückgehalten, als sie schon fast einen Schritt vorgetreten wäre und die Arme um ihn geschlungen hätte, hatte stattdessen nur die Hand zu einem Winken gehoben. Tschüs dann. Mach es gut. Und grüße Elsie. Er hatte zurückgewunken, aber nur ganz kurz, dann hatte er die Tür geschlossen und war fort gewesen.
    Und was blieb jetzt? Zehntausend

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