Eis und Wasser, Wasser und Eis
Botschaft an Ingalill wie auch an Inez, eine klare Aussage, wenn auch ohne Worte. Susanne war eine andere geworden. Eine, die nicht daran dachte, sich weiter herumschubsen zu lassen. Weder von ihrer sogenannten besten Freundin noch von ihrer sogenannten Mutter. Falls die sogenannte Mutter irgendwann aufzutauchen beliebte.
Draußen war es bereits dunkel. Das merkte sie, als sie auf den oberen Flur trat. Die Straßenlaternen auf dem Bürgersteig waren eingeschaltet, und sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Halb vier. Wo blieb Inez eigentlich? Um diese Uhrzeit war der Markt doch schon längst geräumt, und alle Geschäfte hatten geschlossen … Na, auch egal.
Sie ging langsam die Treppe hinunter, vielleicht zu langsam. Ingalill stand direkt hinter der Tür, in ihrem üblichen alten Mantel. Der braun war. Hässlich braun, um ehrlich zu sein. Sie selbst trug keinen Mantel mehr, sie hatte Anfang des Herbsts einen Parka bekommen, und wie sie jetzt Ingalill dort stehen saß, glühte der Triumph in ihr. Ingalill war alles, was Susanne nicht war. Groß und kräftig. Pickelig. Mit kurz geschnittenem, gelocktem Haar. Sie selbst hatte sich in den letzten Monaten verwandelt, und plötzlich erschreckte sie all das Neue nicht mehr. Sie, die immer eine graue, alltägliche kleine Maus gewesen war, versteckt unter anderen grauen, alltäglichen Mäusen, war plötzlich ein Mädchen, dem die Blicke folgten, wo sie auch ging. Jetzt, in diesem Augenblick, konnte sie das zum ersten Mal vor sich selbst zugeben. Selbst die Gymnasiasten aus dem letzten Jahrgang und Lehrer, die sie nie gehabt hatte, sahen ihr hinterher, wenn sie ihr Tablett durch die Kantine balancierte oder die Treppen hinauflief, um rechtzeitig zur nächsten Stunde zu kommen. Und als sie mit Inez in die Stadt gegangen war, um einen neuen Wintermantel zu kaufen, in der Woche, nachdem die Typhoons zum ersten Mal in die Top Ten gelangt waren, hatte sie das Gefühl gehabt, als würde sich jeder Mensch, der ihnen begegnete, anstrengen müssen, sie nicht anzustarren. Was nicht allen gelang. Bei Cema hatte Frau Jacobsson, die bekannt war für ihren Riecher für Geld, mit den Nasenflügeln gebebt, als sie den Laden betraten. Und während Susanne einen Mantel nach dem anderen anprobierte, hatte sie das Gefühl, als schauten die anderen Kunden heimlich zu ihr herüber. Sie versuchte, sich selbst mit deren Augen zu sehen und sah bald ein, dass ein normaler Mantel nicht möglich war. Schließlich entschied sie sich für einen schwarzen Parka mit beigefarbenem Futter, nicht, weil sie ihn besonders hübsch fand, sondern aus lauter Furcht, womöglich etwas Falsches, Hässliches oder Unmodernes auszusuchen, dessen Plumpheit allein einen Schatten auf Björns Bild werfen könnte. Als sie das Geschäft verließen, begegneten sie Monika Andersson, die auch in der Svanegatan wohnte, sie war fünf Jahre älter als Susanne und hatte sich noch nie zuvor herabgelassen, sie zu grüßen, aber jetzt warf sie ihren Kopf in einer Art Nicken herum und schaute dann weg, als wäre sie plötzlich schüchtern geworden.
Sie wusste also, wer Susanne war. Alle wussten plötzlich, wer Susanne war. Und seitdem waren zwei Monate vergangen, nein, fast zweieinhalb, und alles hatte sich noch mehr verändert. Der Parka war hübsch geworden. Sie selbst war hübsch geworden. Zumindest fast. Bald würde sie es vielleicht sogar schaffen, Leuten zu widersprechen. Ganz offen.
»Hallo«, sagte sie zu Ingalill. Lächelte aber nicht dabei.
Ingalills Blick flackerte. Als wäre sie unsicher. Das war auch neu.
»Hallo.«
Einen Moment lang schwiegen beide. Ingalill schluckte:
»Wollen wir eine Runde drehen?«
Susanne antwortete nicht sofort. Eine Sekunde lang erinnerte sie sich an alle Gemeinheiten von Ingalill im Laufe der Jahre, all ihre spitzen Bemerkungen, ihren ständig überheblichen Ton, und plötzlich hatte sie Lust, es ihr heimzuzahlen, sollte sich diese blöde Kuh doch genauso dumm und unterlegen fühlen wie sie sich selbst tausendmal, nein, zehntausendmal gefühlt hatte. Gleichzeitig war da ein anderes Gefühl in ihrem Bauch, ein vertrautes Gefühl. Ingalill hatte nichts von dem, was Susanne hatte. Kein Haus. Keinen Parka. Keinen großen Bruder. Keine Eltern mit Geld. Keine Eva. Vielleicht war es nicht so verwunderlich, dass sie mit ihren guten Noten so protzte. Sie hatte ja nichts anderes, womit sie protzen konnte.
»Ich weiß nicht …«
Ingalill räusperte sich. Sie war wirklich
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