Eis und Wasser, Wasser und Eis
tat, als wäre sie seine Mutter. Weshalb sie sich auch weigerte, die Unterhaltszahlungen anzunehmen. Die ganze Zeit über hatte sie das Geld auf ein Konto eingezahlt, ein Konto auf Björns Namen. Als handelte es sich um eine Art Schadensersatz, nicht um das Geld für den Unterhalt und seine Ausbildung …
»Und der Vater?«, fragte Mats. »Wer ist sein Vater?«
Einen Moment lang tat sich der Boden vor Elsie auf. Sie stand reglos da und starrte in die tiefe Finsternis, diese Finsternis, der sie so geschickt auszuweichen pflegte, nicht nur heute, sondern jeden Tag. Sie schloss die Augen, aber langsam, sehr viel langsamer als je zuvor, als wäre sie überzeugt davon, dass die geringste Bewegung, das kleinste Zucken des Augenlids sie fallen ließe. Dann schloss sich das schwarze Loch, sie konnte es spüren, wusste aber gleichzeitig, dass es nur an der Oberfläche geschah, dass die große Dunkelheit unter einer dünnen Schicht aus Zement und Malerfarbe lauerte. Sie öffnete die Augen und schaute Mats an. Er war der Erste. Niemand hatte ihr diese Frage gestellt seit dem Tag, an dem Björn geboren wurde. Vorher, ja, aber hinterher nicht mehr. Lydia nicht. Inez nicht. Nicht einmal dieser nervige Mann vom Jugendamt. Niemand. Nicht einmal Björn selbst. Aber jetzt stand dieser junge Journalist hier dicht neben ihr und stellte sie in einem ganz normalen Gesprächston, ohne zu begreifen, dass das eine Frage war, die man nicht stellte. Eine verbotene Frage. Jetzt sah sie außerdem, dass er einen Notizblock in der einen Hand hielt und einen Stift in der anderen. Er lächelte ein wenig, aber unter ihrem Blick erlosch sein Lächeln langsam. Elsie holte tief Luft.
»Interviewen Sie mich?«
Sie hörte ihre eigene Stimme. Sie war kühl. Geradezu eiskalt. Mats fuhr sich rasch mit der Zunge über die Oberlippe.
»Also, ich …«
Elsie wandte den Blick nicht von ihm ab.
»Stimmt das? Habe ich recht? Versuchen Sie mich zu interviewen?«
Mats’ Wangen wurden dunkler, er errötete so heftig, dass es sogar in dem schwachen Widerschein des Lichts von der Bühne zu erkennen war.
»Ich wollte nur …«
Er war aus dem Konzept gekommen, und einen Atemzug lang sah er vollkommen verunsichert aus, dann riss er sich zusammen, klappte den Notizblock zu und suchte in seinen Taschen. Er zog eine Päckchen Zigaretten hervor und wühlte in der anderen Tasche weiter, vermutlich nach Streichhölzern. Die Röte war verschwunden, als er sich ihr wieder zuwandte und mit vollkommen normaler Stimme sagte:
»Ich dachte nur … Wir müssen ja in jeder Nummer etwas über ihn bringen. So bekannt wie er ist.«
Elsie nickte.
»Ja«, sagte sie. »Ich verstehe. Aber ich möchte auf keinen Fall interviewt werden.«
Mats zuckte mit den Schultern und zündete ein Streichholz an.
»Na gut. Dann nicht. Obwohl ich nicht verstehe, warum nicht.«
Elsie wandte ihren Blick ab.
»Das brauchen Sie auch nicht.«
»Susanne«, rief Birger unten vom Flur. »Du hast Besuch.«
Besuch? Susanne starrte ihr Spiegelbild an. Kleine Reste von schwarzem Eyeliner saßen noch in dem Winkel des rechten Auges. Sie riss ein Stückchen Watte ab, befeuchtete es unter dem Wasserhahn und begann zu reiben, während sie rief:
»Ich komme gleich.«
Es war natürlich Ingalill, die unten auf dem Flur wartete. Eine Ingalill, die vermutlich noch saurer war als sonst, weil Susanne nichts von sich hatte hören lassen. Sonst rief sie doch immer am Samstagvormittag an, damit sie verabreden konnten, was sie am Nachmittag machen wollten, aber heute hatte sie es nicht getan. Sie hatte nicht angerufen, sie hatte nicht einmal daran gedacht, anzurufen. Und jetzt stand Ingalill unten auf ihrem Flur und sah beleidigt aus. Wie man vermuten konnte.
»Susanne!«
»Ja, ich komme ja schon! Ich bin schon unterwegs!«
Ihre Stimme war schärfer als sonst, sie war sicher, dass man das durch die Badezimmertür bis unten auf den Flur hören konnte. Wäre Inez zu Hause, so hätte sie sich niemals getraut, so zu rufen, aber sie war ja nicht da, und deshalb hörte Susanne sich ungefähr so an, wie sie wollte. Vor Birger hatte sie keine Angst. Sie blieb stehen. Inzwischen dachte sie an die beiden als Inez und Birger, nicht mehr als Mama und Papa. Nun ja. Das war vielleicht ganz normal. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Vom Make-up war nichts mehr zu sehen, aber das Haar war länger geworden. Der Pony reichte inzwischen schon über die Augenbrauen. Sie hatte vor, es dabei zu belassen. Das war eine
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