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Eisberg

Titel: Eisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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die Nadel in den beiden Schlingen behutsam hoch und senkte sie langsam auf die kleine Pfütze. Atemlos beobachtete er, wie die Nadel auf dem Wasser liegen blieb. Dann zog er die Schlingen unter der Nadel hervor.
    Nur ein Kind, das zu Weihnachten mit großen Augen auf all die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum starrt, hätte sich ebenso entzückt fühlen können wie Pitt. Er hockte gebannt da und sah zu, wie die Nadel sich langsam im Kreis drehte und endlich stillstand. Ihre Spitze zeigte genau auf den magnetischen Nordpol.
    Pitt saß volle drei Minuten regungslos da und starrte auf seinen selbstgebastelten Kompaß; fast hatte er Angst, daß dieser sinken und verschwinden könnte, wenn er nur mit den Augen zwinkerte.
    »Wollen wir doch einmal sehen, ob eure gottverdammten Computer da noch mitkommen!« brummte er in der absoluten Stille, die ihn umgab. Er legte seine Marschrichtung fest, nahm die primitive Kompaßnadel aus dem Wasser und ging auf den Nebel zu. Erneut fingen seine aufgerissenen Lippen und die halb ausgeschlagenen Zähne zu bluten an. Zudem machte ihm jetzt Rondheims Tritt in die Leisten zu schaffen; er konnte sich nur humpelnd fortbewegen. Aber er zwang sich eisern weiterzugehen. Der Boden war zerklüftet und uneben, und schon bald wußte Pitt nicht mehr, wie oft er gestolpert und gefallen war.
    Glücklicherweise schwand nach anderthalb Stunden wenigstens der Nebel. Nun konnte Pitt die vielen heißen Quellen ausnutzen, an denen er vorbeikam, um mit der Kompaßnadel immer wieder seine Richtung zu kontrollieren. Außerdem ermöglichte es sich ihm dadurch, sich nach markanten Punkten in der Landschaft zu orientieren.
    Aus zwei Stunden wurden drei, aus drei Stunden vier. Jede Minute bedeutete unvorstellbare Leiden und Schmerzen, bedeutete beißende Kälte und stechende Qualen und den dauernden Kampf, die Nerven nicht zu verlieren. Die Zeit dehnte sich zur Ewigkeit. Trotz seiner Zähigkeit begann Pitt daran zu zweifeln, ob er die nächsten Stunden überleben würde.
    Er setzte einen Fuß vor den anderen, in einem rein mechanischen Rhythmus, der ihn Schritt um Schritt dem endgültigen Zusammenbruch zutrieb. In seinem Kopf war für nichts anderes mehr Platz als für den nächsten Orientierungspunkt, und sobald er ihn erreicht hatte, mußte er jedes bißchen seiner schwindenden Kraft auf die nächste Markierung konzentrieren. Er hatte aufgehört zu denken. Nur wenn ihn ein stummer Alarm aus einem versteckten Winkel seines Gehirns warnte, daß er dabei war, die Richtung zu verlieren, machte er an einem dampfenden Schwefeltümpel halt und bestimmte von neuem den Weg, den er einschlagen mußte.
    Selbst vor zwölf Stunden – Pitt schien es zwölf Jahre her zu sein –, als er unter Rondheims Schlägen zusammengesunken war, hatte sein Körper noch auf jeden wichtigen Befehl seines Verstandes prompt reagiert. Doch als Pitt jetzt die Nadel wieder auf das Wasser setzte, versagten ihm seine zitternden Hände den Dienst, und der geniale kleine Kompaß sank rasch auf den Grund des tiefen, kristallklaren Tümpels. Pitt hätte die Nadel noch erhaschen können; doch er saß regungslos da und sah gelähmt zu, wie sie unterging. Erst Sekunden später reagierte er; aber es war zu spät, viel zu spät, und seine Hoffnung, aus Islands öder Hochebene herauszufinden, war zerronnen. Er war zu Tode erschöpft. Trotzdem kämpfte er sich wieder hoch und stolperte weiter, angetrieben von einer Energie, deren Quellen ihm unbekannt waren. Noch zwei Stunden torkelte er so voran. Dann, als er gerade eine drei Meter hohe Bodenwelle erkletterte, verließen ihn die letzten Kräfte und er sank wie ein Luftballon, dem die Luft ausgeht, in sich zusammen.
    Pitt spürte, daß er die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit überschritten hatte und ihn nun das Dunkel der Bewußtlosigkeit umfangen wollte. Doch irgend etwas stimmte dabei nicht. Sein Körper war tot; er empfand keine Schmerzen mehr, jedes Gefühl war in ihm erstorben. Doch immer noch konnte Pitt sehen, wenn sein Gesichtsfeld auch nur wenige Zentimeter des grasbewachsenen Bodens umfaßte. Und er konnte noch hören; seine Ohren nahmen ein sich näherndes Geräusch wahr, für das sein gequältes Gehirn jedoch keine Erklärung mehr zu geben wußte.
    Plötzlich herrschte Stille. Das Geräusch war erstorben, und zurück blieb nur der Blick auf die grünen Grashalme, die sich leise flüsternd im Wind bewegten. Pitts Lebenswille versiegte. Er wollte nur noch friedlich unter der

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