Eisberg
fragte Pitt. »Es stand damals in allen Zeitungen. Fyrie verließ Reykjavik mit seiner Mannschaft und den Passagieren am 10. April letzten Jahres und nahm direkten Kurs auf New York. Er wurde zuletzt von einem Tanker der Standard Oil 1000 km vor Cape Farewell in Grönland gesichtet. Danach hat man von dem Schiff nie wieder etwas gesehen oder gehört.«
»So weit gut.« Koski schlug den Kragen seines Mantels über die Ohren und versuchte, ein Zähneklappern zu unterdrücken. »Nur der Punkt, wo man die
Lax
zuletzt gesichtet hat, liegt nahe dem 50. Breitengrad, weit südlich der Eisberggrenze.«
»Ich möchte Sie daran erinnern, Commander«, wandte Hunnewell ein und zog mißbilligend eine Augenbraue hoch, »daß Ihre eigene Coast Guard im Lauf nur eines Jahres insgesamt eintausendfünfhundert Berge südlich des 48. Breitengrades gesichtet hat.«
»Und ich darf Sie daran erinnern, Doc«, widersprach Koski, »daß während des Jahres, in dem die
Lax
verschwand, südlich des 48. Breitengrades überhaupt kein Eisberg gesichtet wurde.«
Hunnewell zuckte nur die Achseln.
»Es wäre sehr aufschlußreich, Dr. Hunnewell, wenn Sie erklären könnten, wieso ein Eisberg dort auftaucht, wo es gar keine gibt, und wie er dann mit der eingefrorenen
Lax,
entgegen allen Meeresströmungen, die dort während elfeinhalb von zwölf Monaten vorherrschen, vier Grad nach Norden schwimmt, während sonst jeder Eisberg im Atlantik mit einer Geschwindigkeit von drei Knoten in der Stunde nach Süden driftet.«
»Ich kann es nicht erklären«, sagte Hunnewell schlicht.
»Sie können es nicht?« Auf Koskis Gesicht spiegelte sich reines Staunen wider. Er sah Hunnewell an, dann wanderte sein Blick zu Pitt und von diesem wieder zurück zu Hunnewell. »Ihr verdammten Schweine!« sagte er wild. »Lügt mich nicht an!«
»Das ist eine ziemlich ausfallende Ausdrucksweise, Commander«, wies ihn Pitt scharf zurecht.
»Was zum Teufel erwarten Sie? Sie sind beide hochintelligente Leute, aber Sie tun so, als hätten Sie den Verstand verloren. Nehmen wir Dr. Hunnewell. Er ist ein international anerkannter Wissenschaftler, und trotzdem kann er nicht erklären, wie ein Eisberg gegen den Labradorstrom nach Norden zu treiben in der Lage ist. Entweder sind Sie ein Schwindler, Doc, oder Sie sind der dümmste Professor, den ich je getroffen habe. Die einfache Wahrheit ist doch, daß dieser Eisberg ebenso unmöglich gegen die Strömung gedriftet sein kann, wie ein Gletscher nicht bergauf rutscht.«
»Niemand ist vollkommen«, erwiderte Hunnewell leise und zuckte hilflos die Achseln.
»Sie wollen mir keine ehrliche Auskunft geben. Ist es das?«
»Es geht hier nicht um Ehrlichkeit«, erklärte Pitt. »Wir haben ebenso unsere Befehle wie Sie die Ihren. Bis vor einer Stunde sind Hunnewell und ich nach einem genauen Plan vorgegangen. Dieser Plan ist jetzt hinfällig geworden.«
»Großartig! Und wie sieht der nächste Schritt in Ihrem Versteckspiel aus?«
»Wir können wirklich nicht alles erklären«, sagte Pitt. »Im Grunde sogar verdammt wenig. Ich will Ihnen erzählen, was Dr. Hunnewell und ich wissen. Ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse daraus.«
»Sie hätten mich von Anfang an als Ihresgleichen behandeln sollen!«
»Das war nicht möglich«, entgegnete Pitt. »Als Kapitän Ihres Schiffes besitzen Sie eine uneingeschränkte Befehlsgewalt. Sie dürfen sogar Anordnungen Ihrer Vorgesetzten mißachten oder in Zweifel ziehen, wenn Sie glauben, daß Ihre Mannschaft oder Ihr Schiff in Gefahr ist. Darauf konnte ich es nicht ankommen lassen. Ich mußte Sie mit irgendwelchen Geschichten dahin bringen, daß Sie uns voll unterstützen. Nebenbei: Wir haben den Befehl der striktesten Geheimhaltung. Ich handle im Augenblick ganz gegen meine Order.«
»Das könnte schon wieder ein neues Märchen sein.«
»Möglicherweise«, meinte Pitt lächelnd. »Aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Hunnewell und ich haben nichts mehr zu gewinnen. Wir lassen den ganzen Schlamassel hier liegen und nehmen Kurs auf Island.«
»Wollen Sie mir diese Geschichte hier aufhalsen?«
»Warum nicht? Verlassene, durch die Meere treibende Wracks sind Ihr Metier. Erinnern Sie sich an Ihren Wahlspruch?
Semper paratus,
allzeit bereit. Die Coast Guard – dein Freund und Helfer, und all dieser Kram.«
Der wütende Ausdruck auf Koskis Gesicht war köstlich. »Ich würde es vorziehen, wenn Sie zur Sache kämen und Ihre geschmacklosen Bemerkungen unterließen.«
»In Ordnung«, erwiderte Pitt
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