Eisberg
unterbrach sich, um dann fortzufahren: »Sie haben Menschen gesehen, die sich wegen der qualvollen Schmerzen die Lunge aus dem Leib gebrüllt haben. Sie kennen Leute, die diesen Zustand überlebt haben, und Sie kennen auch welche, die für den Rest ihres Lebens gelähmt sind. Selbst wenn ich mit diesem Kahn Volldampf fahren würde, könnte ich Sie frühestens in zwei Stunden nach Reykjavik bringen. Zählen Sie außerdem noch fünf Stunden für einen Flug nach London zur nächsten Dekompressionsstation hinzu – nichts da, mein Freund! Gehen Sie unter Deck und ruhen Sie sich aus. Ich sage Ihnen, wann Sie das nächstemal runter dürfen.«
»Ich bin ja schon still, Admiral; Sie haben gewonnen.« Pitt zog den Reißverschluß seines Taucheranzugs auf. »Allerdings halte ich es für klüger, wenn ich mich auf Deck hinlege. Dann kann man uns alle drei sehen.«
»Wer soll uns denn sehen? An der Küste ist kein Mensch, und seit wir den Hafen verlassen haben, ist uns auch kein anderes Schiff begegnet.«
»An der Küste ist jemand. Wir werden beobachtet.«
Sandecker drehte sich um und starrte über das Wasser hinüber zu den Klippen. »Ich werde vielleicht alt, aber bisher habe ich keine Brille gebraucht. Ich will verdammt sein, wenn ich auch nur das geringste erkennen kann.«
»Rechts, genau hinter dem Felsen, der dort aus dem Wasser ragt.«
»Ich sehe nichts.« Sandecker starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Fleck, den Pitt ihm beschrieben hatte. »Höchstens mit dem Fernglas könnte ich etwas ausmachen. Sie sind ganz sicher?«
»Die Sonne hat sich einen Augenblick lang in irgend etwas gespiegelt. Möglicherweise in zwei Linsen.«
»Meinetwegen. Wenn ich gefragt werden sollte, weshalb nur zwei von uns auf Deck waren, dann war Tidi eben seekrank und lag leidend unten in ihrer Koje.«
»Diese Entschuldigung ist genauso gut wie jede andere«, erwiderte Pitt lächelnd, »solange einer mich und Tidi in diesen abenteuerlichen Klamotten nicht unterscheiden kann.«
Sandecker lachte. »Auf eine Entfernung von anderthalb Kilometern könnte selbst ihre Mutter mit dem besten Feldstecher keinen Unterschied erkennen.« Er wandte sich um, sah Pitt in die Augen und fuhr fort: »Verziehen Sie sich aber trotzdem lieber nach unten. Eine kleine Pause wird Ihnen guttun. Ich schicke Ihnen Tidi mit einer Tasse Kaffee. Aber kein Techtelmechtel! Ich weiß, wie scharf man nach einem Tag angestrengten Tauchens wird.«
Ein unheimliches, gelbgraues Licht schien durch die Luke, als Sandecker Pitt wachschüttelte.
Pitt kam nur langsam zu sich und war wie betäubt. Er spürte, daß der Wellengang sich gelegt hatte; die
Grimsi
schaukelte kaum noch, selbst in der niedrigen, regelmäßigen Dünung nicht.
Nicht die leiseste Brise regte sich. Die Luft war drückend und schwer.
»Hat das Wetter umgeschlagen, Admiral?«
»Es gibt Nebel – er treibt von Süden auf uns zu.«
»Wann ist er bei uns?«
»In fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten.«
»Da bleibt uns nicht mehr viel Zeit.«
»Genug, um einmal kurz zu tauchen.«
Minuten später war Pitt wieder dort unten, wo es keine Geräusche und keinen Wind gab – nur lastende Stille. Er glich den Druck in seinen Ohren aus und schwamm mit kräftigen Stößen in die Tiefe. Seine Muskeln waren steif und schmerzten, und er war immer noch nicht ganz bei sich.
Er schwamm ruhig und mühelos, als zöge ihn jemand an einer Schnur vorwärts. Wieder wurden die Farben dunkler, gingen von Blaugrün in ein mattes Grau über. Er schwamm, ohne über die Richtung nachzudenken; er verließ sich ganz auf seinen Instinkt. Dann fand er die Maschine.
Sein Herz begann wie wild zu klopfen, als er sich vorsichtig dem Flugzeug näherte. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß jede Bewegung Gefahr mit sich bringen konnte, wenn er erst einmal in das Durcheinander des Wracks eingedrungen war.
Er schwamm um die zerschmetterte Luke herum, die drei Meter hinter den Flügeln lag, und wurde von einem kleinen, knapp 15 Zentimeter langen Rotbarsch begrüßt. Dessen orangerote Schuppen hoben sich grell von dem dunklen Hintergrund ab und leuchteten in dem trüben Licht wie eine Christbaumkugel. Er starrte Pitt aus seinem runden Auge an, das genau unter den Stacheln auf seinem Kopf saß. Als dann Pitt in das Flugzeug eindrang, schoß der Fisch aufgeregt vor seiner Taucherbrille hin und her.
Sobald Pitt seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatte, erkannte er ein heilloses Durcheinander von Sitzen, die aus ihrer
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