Eisberg
entgeistert drein. »Was … was ist passiert?« war alles, was sie herausbrachte.
»Die Benzintanks waren es nicht«, sagte Sandecker. »Da bin ich sicher.«
»Sie haben recht«, stimmte ihm Pitt zu. »Sie müssen Sprengstoff an Bord gehabt haben, und dem ist meine letzte Bombe nicht gut bekommen.«
»Ziemlich leichtsinnig von ihnen.« Sandeckers Stimme klang fast fröhlich. »Unser Manöver kam ihnen völlig unerwartet, genau wie Sie gesagt haben, und das hat uns das Leben gerettet. Die Esel haben nicht damit gerechnet, daß in die Enge getriebene Mäuse wie Tiger kämpfen können.«
»Jetzt ist unser Konto an Leichen wenigstens halbwegs ausgeglichen.« Pitt spürte nicht den kleinsten Gewissensbiß. Er und Sandecker hatten aus reinem Selbsterhaltungstrieb gehandelt – und um Hunnewell und die anderen zu rächen. Die Endabrechnung stand freilich noch aus. Seltsam, dachte er, wie einfach es ist, Menschen umzubringen, die man nicht kennt und von deren Leben man nichts weiß. »Ihre Achtung vor fremdem Leben, fürchte ich, wird Sie noch teuer zu stehen kommen«, hatte Jonsson gesagt. »Ich bitte Sie, lieber Freund, schlagen Sie zu, wenn der Augenblick da ist.« Pitt spürte eine wilde Befriedigung. Der Augenblick war da gewesen, und er hatte zugeschlagen. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, über den Schmerz und den Tod nachzudenken, den er anderen zufügte. Er fragte sich, ob diese unbewußte Gleichgültigkeit schuld daran war, daß die Menschen immer wieder Kriege führten.
Tidis leise Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Sie sind tot. Sie sind alle tot.« Sie begann zu schluchzen, die Hände gegen ihr Gesicht gepreßt; ein Weinkrampf schüttelte sie. »Sie haben sie umgebracht, sie kaltblütig ermordet.«
»Ich bitte Sie um Verzeihung, gnädige Frau«, erwiderte Pitt kühl. »Sperren Sie doch einmal Ihre Augen auf! Sehen Sie sich um: Glauben Sie, diese Löcher in unserem Schiff stammen von Spechten? Um es im Western-Jargon zu sagen: Sie haben zuerst gezogen, Sheriff; uns blieb keine Wahl. Sie oder wir! Sie haben das falsche Drehbuch erwischt, Tidi. Wir sind die Guten; die andern hatten die Absicht, uns kaltblütig umzulegen.«
Sie sah in das hagere, entschlossene Gesicht, sah die grünen Augen, und plötzlich verstand sie ihn. Sie hob sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen zarten Kuß. Ihr Gesicht war vom Nebel und von ihren Tränen feucht. »Ich bringe gleich zwei Tassen Kaffee«, sagte sie. Sie rieb sich die Augen.
»Und waschen Sie sich auch das Gesicht«, meinte er lächelnd. »Ihre Lidschatten sind schon bis zum Kinn hinuntergelaufen.«
Gehorsam drehte sie sich um und kletterte in die Kombüse zurück. Pitt sah Sandecker an und zwinkerte ihm zu. Der Admiral nickte verständnisvoll und sah dann wieder zu dem brennenden Boot hinüber.
Das Tragflächenboot war mit dem Heck bereits unter Wasser und sank schnell. Das Meer schlug über dem Vordeck zusammen und löschte das Feuer. Eine weiße Dampfwolke stieg auf, und das Schiff war verschwunden. Nur ein Wirbel aus öligen Luftblasen, nicht zu identifizierenden Trümmern und schmutzigem Schaum zeugte noch von der Katastrophe.
Mit einem Ruck schüttelte Pitt die Bilder des Schreckens ab und wandte sich dem, was weiterhin zu tun war, zu. Er sagte: »Es bringt uns nichts ein, wenn wir hier noch länger herumtrödeln. Ich schlage vor, wir nehmen, so schnell das bei dem Nebel möglich ist, wieder Kurs auf Reykjavik. Je rascher wir uns aus dem Staub machen, um so besser für uns.«
Sandecker schaute auf die Uhr. Es war 1 Uhr 45. Das ganze Unternehmen hatte kaum fünfzehn Minuten gedauert. »Ich könnte einen steifen Grog vertragen«, meinte er.
»Kontrollieren Sie das Echolot. Wenn die Wassertiefe weniger als dreißig Meter beträgt, sind wir der Küste gefährlich nahe.«
Drei Stunden später umfuhren sie zwanzig Meilen südwestlich von Reykjavik die Spitze der Halbinsel von Keflavik. Endlich riß der Nebel auf. Islands im Sommer nicht untergehende Sonne begrüßte sie mit strahlendem Glanz. Eine Verkehrsmaschine der PanAm, die vom Keflavik International Airport aufstieg, zog über ihre Köpfe hinweg. Ihre Aluminiumverkleidung gleißte im Sonnenschein; dann schwenkte sie in einem großen Bogen nach Osten in Richtung London. Pitt sah ihr versonnen nach. Wie gern wäre er jetzt dort oben im Cockpit gesessen und über den Wolken geflogen, statt auf dem Deck eines schlingernden alten Kastens zu stehen. Da riß ihn Sandeckers Stimme aus seinen Träumen.
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