Eisberg
wies Pitt sie zurecht. »Sonst erleben wir hier unser Waterloo!« Er hielt inne und musterte das bleiche, verständnislose Gesicht. Ihre Hände nestelten nervös an der Bluse herum.
»Sie planen einen kaltblütigen Mord«, stieß sie hervor. Sie verstummte, zwang sich aber dann weiterzureden: »Sie können nicht einfach andere Menschen umbringen, ohne diese vorher nicht wenigstens gewarnt zu haben. Unschuldige Menschen, die Sie nicht einmal kennen!«
»Das reicht«, fuhr Sandecker sie scharf an. »Wir haben jetzt keine Zeit, einer ängstlichen Frau die Erbarmungslosigkeit des Lebens zu erklären. Bitte verziehen Sie sich nach unten und gehen Sie in Deckung, damit Sie vor den Kugeln geschützt sind.« Er wandte sich an Pitt: »Nehmen Sie die Notaxt und kappen Sie die Ankerkette! Geben Sie mir ein Zeichen, wenn ich auf volle Kraft gehen soll!«
Pitt scheuchte Tidi die Treppe zur Kombüse hinunter und hob die Axt, als die Sterlings ansprangen. »Ein Glück, daß wir kein Pfand für das Schiff hinterlegt haben«, murmelte er undeutlich vor sich hin, als die Axt das Tau glatt durchschlug, in die Reling eindrang und dabei einen 15 Zentimeter langen Holzspan absplitterte. Der Anker würde nun für immer auf dem schwarzen Meeresgrund bleiben.
Das unsichtbare Boot war fast auf ihrer Höhe, und das Brummen seiner Motoren minderte sich zu einem gedämpften Tuckern, als der Steuermann die Geschwindigkeit drosselte, um bei der
Grimsi
längsseits zu gehen. Pitt konnte vom Bug aus, wo er lag und mit den Händen den Stiel der Axt umklammerte, hören, wie die Wellen gegen den Rumpf klatschten, als die Tragflächen ins Wasser sanken. Er richtete sich vorsichtig auf. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er, ohne etwas zu sehen, in den dicken Nebel starrte. Die Sichtweite betrug höchstens zehn Meter.
Dann schob sich langsam ein dunkler Körper in sein Blickfeld. Pitt machte die Backbordseite des Bugs aus. Er konnte mit Mühe einige schattenhafte Gestalten auf dem Deck erkennen.
Hinter ihnen war wie ein Schemen das Ruderhaus zu erkennen. Das Ganze kam ihm wie ein Geisterschiff vor, mit Gespenstern als Mannschaft. Das graue Gebilde kam drohend näher und türmte sich neben der
Grimsi
auf; es hatte eine Länge von fünfunddreißig oder vierzig Metern. Jetzt konnte Pitt die Männer, die sich über die Reling beugten, deutlich erkennen.
Sie sprachen kein Wort und standen sprungbereit da. Die Schnellfeuergewehre, die sie in Händen hielten, sagten alles. Pitt konnte keinen Zweifel mehr haben.
Keine drei Meter von den Gewehrläufen auf dem Geisterschiff entfernt, erledigte Pitt jetzt drei Dinge, und zwar so rasch, daß es wie eine einzige Bewegung aussah. Er schwang die Axt zur Seite und schlug mit der flachen Klinge auf ein Spill – das war das vereinbarte Zeichen für Sandecker. Noch im selben Schwung schleuderte er die Axt durch die Luft; sie grub sich mit der Schneide in die Brust des Mannes, der eben die
Grimsi
entern wollte. Sie traf ihn mitten im Sprung; aus der Kehle des Mannes drang ein markerschütternder Schrei, als er über die Reling stürzte. Er hing dort einen Augenblick, die Fingernägel in das Holzgeländer gekrallt, und fiel dann in das eisengraue Wasser. Noch bevor die Wellen über seinem Kopf zusammenschlugen, hatte sich Pitt zu Boden geworfen, und die
Grimsi
machte einen Satz nach vorn wie ein erschreckter Leopard. Ein Kugelregen pfiff hinter ihr her, peitschte über das Deck und schlug in das Ruderhaus, bis das alte Boot im Nebel verschwunden war.
Pitt blieb unter der Verschanzung und kroch nach hinten über die Schwelle des Ruderhauses.
Der Boden war mit Glas- und Holzsplittern übersät.
»Sind Sie getroffen worden?« fragte Sandecker wie beiläufig.
Seine Stimme ging in dem Lärm der Sterling-Turbinen unter. »Ich habe kein Loch im Bauch. Wie steht es mit Ihnen?«
»Die Schweine haben über meinen Kopf geschossen – ich hatte mich ganz klein gemacht. Sie hatten auch viel Glück mit Ihrer Kür!«
Er wandte sich um. »Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört, ehe hier die Hölle losbrach.«
Pitt grinste. »Ich kann es nicht leugnen. Das war meine kleine Axt.«
Sandecker schüttelte den Kopf. »Ich bin schon seit dreißig Jahren bei der Marine; aber das war das erstemal, daß meine Mannschaft sich gegen ein Krisenkommando zur Wehr setzen mußte.«
»Das Problem besteht jetzt darin, eine Wiederholung dieses Manövers zu verhindern.«
»Das wird nicht einfach sein. Wir fahren blind
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