Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Baecker
Vom Netzwerk:
Julian sich über seinen Anruf freute.
    »Nächsten Freitag ist mein letzter Schultag. Darf ich dann zu euch kommen? Mit Papa hab ich gesprochen«, fragte er.
    »Natürlich. Wie lange willst du bleiben?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht die ganzen Ferien. Ich brauch mal ein bisschen heile Welt.«
    Brander lächelte traurig. Heile Welt. Vielleicht konnte er wenigstens seinem Neffen etwas Halt geben.
    »Soll ich dich abholen?«
    »Nicht nötig. Ich fahre mit Oma und Opa mit dem Zug.«
    »Ceci und ich freuen uns auf dich.«
    Er rief Klaus Schubert an, berichtete dem Lehrer, dass Nathalie wieder zu Hause war. Dann wechselte er seine Kleidung gegen seinen Raddress und ging zu den Fahrradständern. Statt sich auf den Heimweg zu machen, entschloss er sich, zu Karsten Beckmann zu fahren.
    »Was verschafft mir die Ehre?«, wunderte sich Beckmann, der ihm mit Schürze um die Hüften die Tür öffnete. Er sah ihn mit gespielter Lüsternheit an. »Du siehst sexy aus in der engen Radhose.«
    »Danke, die Schürze macht dich auch ungemein attraktiv.«
    Beckmann zog einen Mundwinkel hoch zu einem schiefen Grinsen. »Komm rein.«
    Brander trat in den Flur, zog die nassen Schuhe aus und folgte Beckmann ins Wohnzimmer.
    »Du bist ein bisschen zu früh, ich habe gerade erst angefangen zu backen.«
    »Backen?«
    »Es ist Weihnachtszeit! Da backt man Plätzchen. Pierre und ich haben das jedes Jahr gemacht. Da kommt man richtig in Stimmung.«
    »Hm.« Weihnachtsstimmung. Die war an ihm bisher völlig vorbeigegangen.
    »Was kann ich dir anbieten? Kaffee? Tee?«
    »Nichts, danke.«
    »Jetzt sei nicht so ungemütlich! Komm, einen kleinen Cappuccino können wir zwei doch zusammen schlürfen.« Beckmann zwinkerte ihm zu.
    »Na gut, dann koch einen Cappuccino.«
    »Bin gleich wieder da.« Beckmann verschwand in der Küche, kehrte kurz darauf mit den zwei Heißgetränken zurück. Er hatte mit Schokopulver einen Stern auf den Milchschaum gezaubert. »Und? Was hast du auf dem Herzen?«
    Brander versuchte ein lockeres Grinsen. »Ich brauchte ein bisschen deine Leichtigkeit des Seins.«
    »Oha. Wenn du anfängst, Buchtitel von Kundera halblebig zu zitieren, ist die Lage ernst.« Beckmann packte seine Maske aus sorgloser Fröhlichkeit ein und sah Brander aufmerksam an. »Was ist los?«
    Brander rührte in seiner Tasse, noch unschlüssig, ob er tatsächlich reden wollte. Aber warum sonst war er zu Beckmann gefahren, anstatt nach Hause zu seiner Frau? »Ich bin gerade ein bisschen durcheinander.«
    Zaghaft begann er, von den Begegnungen mit Nathalie zu erzählen. Ihr Zusammenprall in Stuttgart, die Besuche im Krankenhaus, die Begegnung am Morgen. Ungewohnte Gefühle von Verantwortung für dieses junge Mädchen und dem Wunsch, ihr zu helfen. Nicht auch wieder einer von denen zu sein, die sie im Stich ließen, sobald man das Zimmer verlassen hatte.
    »Cecilia und ich können keine Kinder haben«, erklärte Brander schließlich.
    »Das tut mir leid.« Beckmann sah ihn ehrlich betroffen an.
    »Wir haben uns Kinder gewünscht, aber es hat einfach nicht geklappt. Wir haben damals auch über die Möglichkeit einer Adoption gesprochen, aber … wir haben es nicht gemacht. Ich war mir nicht sicher, ob ich ein fremdes Kind wie mein eigenes lieben könnte.«
    Beckmann wartete stumm auf eine Fortsetzung. Als keine kam, fragte er vorsichtig: »Und Nathalie hat diese Zweifel ins Wanken gebracht?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich sie nicht allein lassen möchte. Das ist ihr schon viel zu oft passiert.« Brander trank einen Schluck Cappuccino. »Ich bin auch unsicher, ob Ceci und ich so einer Aufgabe gewachsen wären. Und selbst wenn wir uns um eine Pflegschaft bemühen würden, Nathalie will ja gar nicht in eine andere Familie.«
    »Sich um das Mädchen zu kümmern heißt doch nicht gleich, dass ihr die Pflegschaft übernehmen müsst. Vielleicht würde es ihr schon helfen, wenn da einfach jemand wäre, zu dem sie kommen kann, wenn sie Sorgen hat.«
    »Ich denke, seit heute Morgen bin ich nicht mehr derjenige, zu dem Nathalie kommen würde. Und ich bin selbst auch einfach gerade so verdammt unsicher …« Wie sollte er es erklären? Das Mädchen kam aus schwierigen Verhältnissen. Sie war störrisch, misstrauisch und aggressiv. Was für eine Verantwortung lud er sich damit auf?
    Beckmann stand auf, ging zu seinem Aquarium, schüttete etwas Fischfutter ins Wasser. Die grünen Sumatrabarben kamen sofort angeschwommen und öffneten hungrig ihre kleinen

Weitere Kostenlose Bücher