Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
hängt, wird erst mal einer eingeschenkt «, und in einem Zug stürzten sie den Schnaps runter.
»Schönes Schwein«, kommentierte Alfi Schuler und hielt sein Glas erneut hin. Für ihn war das sicher ein gelungenes Frühstück.
Die anderen hatten schon vor Stunden, noch im Dunklen, bei Walter Dreyer erwartungsfroh in der warmen Küche bei Kaffee und Brötchen zusammengesessen und ihren arbeitsreichen Tag entspannt begonnen.
Der Schlachter, ein entfernter Cousin von Irmgard Rehse, war zu frühester Morgenstunde auf seinem Mofa aus Gardelegen angereist gekommen, durchgefroren und hungrig. Ganz in Ruhe hatte er kräftig zugelangt.
Laura genoss es, hier zu sein. Zu den eindrücklichsten Erinnerungen ihrer Waldauer Kindheit gehörte nämlich das alljährliche Schlachtfest ihrer Großeltern, mit Helfern aus der Familie und der Nachbarschaft. Neben den lukullischen Extras lockten Laura vor allem das gemeinsame Erlebnis der Herstellung schmackhaftester Wurst- und Räucherware nach alten Altmärker Geheimrezepten und das gute Gefühl am Abend, wenn man bei ersten Kostproben und einigen Flaschen Bier zusammensaß und auf einen gelungenen Tag zurückblicken konnte. Walter hatte wahrscheinlich keine Ahnung, wie dankbar sie ihm für seine Einladung war.
Irmgard Rehse hingegen war ein wenig aufgeregt gewesen. Mit ihren gut siebzig Lenzen war sie heute die Erfahrenste auf dem Hof und wusste, was beim Schlachten alles schief gehen konnte. Sie hatte ihr wollenes, dunkelrotes Kopftuch beim Frühstück noch einmal abgenommen und Laura konnte den kunstvoll geschlungenen Knoten in Tante Irmgards hellem Haar bewundern. Wie hielt das bloß mit den paar Nadeln?
Mit wachen Augen hatte Irmgard Rehse unauffällig die bereitstehenden Töpfe, Schüsseln und Schneidbretter geprüft. Alles schien gut vorbereitet. Schon gestern hatten sie den ganzen Tag die nötigen Großgeräte geschrubbt, Eimer, Leiter, Mollen, Holzkellen. Sie mussten auch die Waschküche in der Scheune nutzen, denn nur die bot genügend Platz zum Mischen und Abbinden der Wurstmassen. Der dortige Waschkessel war hervorragend zum Wurstkochen geeignet. Ein großer Vorrat von Holzscheiten lag bereit, damit stets ausreichend nachgelegt werden konnte.
Irmgard Rehse hatte alte Wollstrümpfe über ihre Filzstiefel gezogen, um auf dem glatten Kopfsteinpflaster vor Walter Dreyers Scheune nicht auszurutschen. Unter dicken, schwarzen Trainingshosen trug sie lange Strümpfe. Und obenrum wärmten sie zwei Pullover. Darüber trug sie ihre geräumigste Kittelschürze, denn trotz der vielen Kleidung musste sie sich ja noch ausreichend bewegen können.
Auch Laura hatte solch eine farbenfrohe Schürze über ihre ebenso vielschichtige und unförmige Garderobe gezogen. Gerührt bemerkte Tante Irmgard, dass Laura eine Kittelschürze ihrer Großmutter trug, mit Streublümchen auf dunkelgrünem Grund. Wie viele Jahre war es jetzt her, dass ihre Schwester nicht mehr lebte! Aber dieses Mädchen tröstete sie ein wenig über den Verlust hinweg.
Irmgard Rehse stellte ihr Schnapsglas beiseite, schaute erst auf das hängende Schwein und dann unauffällig auf ihre Uhr, denn sie hatte noch zwei Frauen zum Helfen gebeten. Das Schnippeln der Fleischstücke würde mehr als ihre Hände brauchen und Laura hatte mit der Schlepperei der Eimer und Schüsseln zwischen Waschküche und Hausküche genug zu tun. Außerdem ließ es sich bei der Gelegenheit gut klönen und das machte ihr wirklich Spaß. Es waren noch gut zehn Minuten Zeit.
»Mehr heißes Wasser«, lautete erneut die Anweisung. Walter und Laura folgten gehorsam. Das Schwein wurde schwungvoll damit bekippt und war nun rundum sauber. Der Wasserdampf stieg vom eisigen Boden auf, und als er sich verzog, hatte der Schlachter das Tier aufgeschlitzt, nahm vorsichtig die Gedärme heraus und rief: »Eine Molle!«
Walter stand bereit und schob den Holztrog hin; die graubraunblaue Masse glitt flutschend in das Behältnis.
~ 4 ~
»Hör zu, mein Lieber. Wir müssen uns ernsthaft unterhalten.« Botho Ahlsens saß im Wintergarten des Gutshauses mit Leon beim Frühstück und versuchte das Gespräch, auf das er sich seit Tagen vorbereitet hatte, zu beginnen.
Es war nicht so, dass er Leon nicht mochte, im Gegenteil, doch mittlerweile wurde seine Anwesenheit auf dem Gut für alle zu einer Belastung. Denn der junge Mann war ein Faulpelz. Einer von der sympathischen und intelligenten Sorte, jedoch war sein gewisser Unterhaltungswert als alleiniges
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