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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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der Hand durch die graumelierten Haare. »Verzeihen Sie,
meine Nerven liegen blank. Das ist alles so … schwierig. Martin ist der Sohn
meines Bruders. Er hat 1980, als er ein paar Wochen zu Besuch bei mir war, eine
noch sehr junge Frau geschwängert. Abtreibung kam aus religiösen Gründen nicht
in Frage, das Kind behalten sollte sie allerdings auch nicht, hatte ihre
Familie entschieden. Mein Bruder hat dafür gesorgt, dass sein Sohn nicht zur
Adoption freigegeben wurde. Alle Papiere wurden gleich auf uns als leibliche
Eltern ausgestellt. Meine Frau konnte keine Kinder bekommen, aber wir wünschten
uns sehnlichst welche. Was hätte da nähergelegen? Wenn nicht die Sache mit der
Blutkonserve … Wir hätten es niemals jemandem gesagt.«
    Christian zeigte sich verständnisvoll: »Wenn es nicht notwendig ist,
und im Moment sehe ich keine Veranlassung, darüber zu reden, wird Martin es
nicht erfahren. Nicht von uns.«
    Herr Abendroth nickte dankend. »Ich möchte jetzt gerne wieder zurück
zu meiner Frau und meinem Sohn.«
    Â»Eine letzte Frage noch, reine Neugier. Martin hält also Ihren
Bruder logischerweise für seinen Onkel?«
    Â»Ja. Aber die beiden kennen sich kaum. Mein Bruder kommt nur alle
paar Jahre mal zu Besuch, wenn er auf Dienstreise ist und die internationalen
Börsen besucht. Er ist Broker in Israel.«
    Abrupt blieb Christian stehen. »Darf ich fragen, wie Ihr Bruder
heißt?«
    Â»David. Warum?«
    Â»David Abendroth?«
    Â»Nein. Er und unsere Mutter sind Ende der Fünfziger nach Israel
ausgewandert, ich blieb mit unserem Vater hier in Deutschland. Mutter hat nach
der Scheidung wieder ihren Mädchennamen angenommen. David wurde ebenfalls
umbenannt. Er heißt David Rosenbaum.«
    Herr Abendroth verschwand im Krankenzimmer, während Christian wie
vom Donner gerührt auf dem Flur zurückblieb. Er stand da, eine Sekunde, zwei
Sekunden, drei. Dann verließ er eilig das Krankenhaus.
    Â»Woher kennst du David Rosenbaum?« Anna war an ihrer
verblüfften Mutter vorbeigestürmt, hatte die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters
ohne anzuklopfen aufgerissen und stand nun vor ihm, Frage und Anklage zugleich.
    Â»David wen?«, antwortete ihr Vater streng. »Was soll das hier
überhaupt für ein Auftritt sein? Kannst du bitte mal guten Tag sagen?«
    Â»Guten Tag.« Anna warf die Kopie des Gruppenfotos auf den
Schreibtisch und lümmelte sich in den grünen Clubsessel gegenüber. »Der rot
umkringelte Kerl, der dir den Arm um die Schulter legt. Woher kennst du ihn?
Was ist das für ein Foto? Und komm mir jetzt nicht mit ›Was ist das für ein
Ton‹?«
    Walter Maybach nahm die Kopie und starrte sie lange an, ohne ein
Wort zu sagen.
    Â»Wo hast du das her?«, fragte er schließlich leise.
    Â»Aus einem Polizeirevier. In Zusammenhang mit Mord- und Totschlag.
Wer sind diese Typen, Vater? Freunde von dir? Eine lustige
Studentenvereinigung?«
    Walter legte das Blatt Papier sehr sachte auf den Tisch, als wolle
er, dass nicht einmal ein leises Rascheln von der Existenz dieses Fotos
kündete.
    Â»Mach die Tür zu«, bat er Anna.
    Als Anna die Tür geschlossen hatte, goss sich Walter einen Cognac
ein. Flasche und Schwenker standen griffbereit im Bücherregal.
    Â»Muss ja echt unangenehm sein, wenn du nicht ohne Alk darüber reden
kannst«, spöttelte Anna.
    Â»Sei nicht so arrogant!« Walter nahm einen Schluck, setzte sich
wieder hin und drehte sich mit dem Stuhl nachdenklich hin und her. »Ich könnte
dich jetzt anlügen. Das würde mir nicht schwerfallen und wäre für alle
Beteiligten sicher besser. Aber in dieser Familie ist jahrelang genug gelogen
und geschwiegen worden, und da du mich sowieso schon verachtest, kann ich
genauso gut die Wahrheit auspacken.«
    Â»Ich bin ganz Ohr.«
    Walter zeigte auf das Blatt Papier: »Das Foto ist 1971 aufgenommen.
Am Strand von Los Angeles.«
    Â»Damals hattest du deinen ersten Forschungsauftrag an der Uni dort.«
Annas Handy klingelte. Sie nahm es aus der Tasche und sah auf das Display. Es
war Pete. Anna drückte ihn weg und schaltete ihr Handy aus.
    Â»Eine phantastische Zeit. Die hatten Koryphäen aller Fachbereiche
eingekauft. Wir bekamen Gelder bewilligt, davon konnte man in Deutschland nur
träumen. Der hier …«, Walter tippte auf einen südländisch aussehenden Mann auf
der Fotokopie,

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