Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
Volker sprach
leise, ruhig und monoton. Er wählte seine Worte nicht bewusst, sie flossen aus
seinem Inneren hervor, von jenem obskuren Ort der Verbundenheit, die ihn hier
an dieses Bett bannte und auf das Wunder der Menschwerdung warten ließ.
    Â»Du willst weg von dort, wo du bist, aber du bist in dir. Es ist
schwer wegzukommen von da. Du willst nicht in dir sein, weil die Hölle in dir
ist. Ruh dich aus. Ruh dich in mir aus, da ist Ruhe und Stille. Du kannst durch
meine Augen eintreten. Sieh mich an.«
    Während Volker sprach, flirrte Martins Blick weiter durch seinen
eigenen Abgrund. Er fiel und fiel, Martin begann wieder schwerer zu atmen,
strengte sich an, schwitzte, stöhnte, röchelte und plötzlich, während Volker
seine Worte wiederholte, streifte Martins Blick über Volkers Augen, flirrte
weiter, kehrte zurück, verlor ihn wieder, kehrte zurück und fand zitternd Halt.
    Kurz vor eins kam Anna in die Einsatzzentrale, um
Christian fürs Mittagessen abzuholen. Pete saß konzentriert mit Eberhard am
Konferenztisch, auf dem alle sichergestellten Fundstücke aus dem Bunkergelände
ausgebreitet waren. Bedauernd teilte er ihr mit, dass Christian mit Eberhards
Dienstwagen nach Reinbek gefahren war. Er hatte von Volker eine SMS
bekommen, die ihn über Martins Aufwachen informierte hatte. Anna tat es zwar
leid, Christian zu verpassen, freute sich aber über Martins Rückkehr ins Leben
und beschloss, für alle einen Döner zu holen. Sie stellte ihre Handtasche ab,
nahm ihr Portemonnaie heraus, zählte ihr Bargeld, stellte fest, dass sie zu
einem Bankautomaten musste, nahm einen Zwanzig-Euro-Schein von Pete an, steckte
ihre Geldbörse wieder weg, nahm ihre Handtasche, und plötzlich fiel ihr Blick
auf das darunterliegende Foto von David Rosenbaum und seinen Freunden am
palmengesäumten Strand. Sie erstarrte. Sie nahm das Foto in die Hand,
betrachtete es genauer.
    Â»Was ist das für ein Foto?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.
    Pete blickte nur kurz von seiner Arbeit hoch. »Der rot Umkringelte
ist David Rosenbaum, der verschwundene Typ vom Mossad. Bringt uns aber nichts,
das Foto ist viel zu alt.«
    Anna sah verunsichert zu Pete und Eberhard, die beide in den Bericht
der Spurensicherung vertieft waren. Sie nahm das Foto, ging auf den Flur zum
Kopierer, ließ den Ausdruck durchlaufen, ging zurück in das Besprechungszimmer,
legte das Foto zurück auf den Tisch, nahm ihre Handtasche, steckte die Kopie
ein und ging ohne ein Wort. Anna wirkte verwirrt und angespannt, aber weder
Pete noch Eberhard bemerkten es.
    Als Christian in Reinbek ankam, war Martin eingeschlafen.
Er hatte kein Wort gesprochen, nur unverwandt in Volkers Augen geblickt, sich
darin festgehakt, verankert, um ruhiger und ruhiger zu atmen, die Angst
loszulassen, als würde er tatsächlich durch das Tor der Augen in Volkers innere
Stärke eintauchen können und Frieden finden. Christian war enttäuscht, dass es
keine neuen Informationen gab, immerhin war Martin der Einzige, der die Folter
des Mörders bislang überlebt hatte und ihnen einen Namen sagen oder zumindest
eine Beschreibung geben konnte. Am liebsten hätte er Martin aufgeweckt, ihn
geschüttelt und angeschrien, er solle endlich reden, und wenn er wegen seiner
fehlenden Zungenspitze schon nicht reden könne, so solle er stammeln oder doch
wenigstens einen Namen aufschreiben, eine Zeichnung machen, irgendeinen Hinweis
geben, damit sie das Schwein endlich schnappen konnten. Doch sowohl der Arzt
als auch die Eltern sowie Volker hatten eine Menge gegen Christians Ungeduld
einzuwenden.
    Also nahm er sich, so gut es ging, zurück, saß ruhig neben Herrn
Abendroth auf dem Flur, und trank mit ihm dünnen Kaffee aus Pappbechern,
während Volker und Frau Abendroth am Bett Wache hielten. Herr Abendroth war
überglücklich, dass Martin kurz aufgewacht war, und hoffte auf eine schnelle
Genesung. Die psychischen Schäden, die Martin davongetragen hatte, würden nach
seiner Meinung ebenso verheilen wie all die Narben auf dem Körper. Christian
mochte ihm die Illusion nicht nehmen, aber nach allem, was er im Bunker gesehen
hatte, teilte er diese Ansicht ganz und gar nicht. Der unbeschwerte,
rücksichtslose, arrogante, hübsche junge Mann existierte nicht mehr. Martin
Abendroth würde nie wieder so sein wie früher, da war sich Christian sicher.
    Â»Sie wissen ja gar nicht, was für ein guter

Weitere Kostenlose Bücher