Eischrysanthemen
unendlichen Qualen der Hölle erleiden musste und der Tod sie schlussendlich befreite.“ Während dieser kurzen Erklärung war Kiras Stimme energischer geworden, und Vincent hatte das Gefühl, als würde er mehr über sich selbst sprechen, als über die Rolle. Nach diesem kurzen Ausbruch fiel er wieder in sein altes Verhalten zurück und nahm das Glas in die Hand, ohne jedoch daraus zu trinken.
„Wollen Sie denn nichts mehr trinken?“, forderte er Vincent auf, der schon automatisch nach dem Glas griff und einen größeren Schluck nahm.
„Das klingt, als würde Ihnen sehr viel an der Rolle liegen“, versuchte Vincent ihm noch mehr zu entlocken, aber das war anscheinend der falsche Ansatz gewesen, denn Kira runzelte die Stirn.
„Mir liegt jede meiner Rollen sehr am Herzen, denn ich studiere sie mit großem Eifer und mit viel Konzentration.“ Das klang bissig und ein wenig beleidigt. Vincent verspannte sich leicht. Die Gesichtszüge seines Gegenübers waren eindeutig verärgert.
„Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Kabuki Schauspieler zu werden“, schnitt Vincent das nächste Thema an, um Kira wieder zu besänftigen.
„Meine Eltern führten ein Theater, und es war ihr Wunsch, dass ich Schauspieler werde.“ Wieder eine so knappe Antwort, die obendrein auch noch vollkommen emotionslos vorgetragen wurde.
„Das klingt fast so, als hätten Sie lieber etwas anderes gemacht, als Schauspieler zu werden“, fühlte Vincent weiter nach und machte sich hastig ein paar Notizen, was er beinahe vergessen hätte.
„Das habe ich nicht gesagt“, meinte Kira. „Ich hatte keine anderen Pläne, und es erschien mir eine gute Idee, das Theater meiner Eltern auf diese Weise zu übernehmen.“ Die Antwort war unfreundlich, und Vincent hatte das Gefühl, als würde Kira die Lust an der Befragung verlieren. Das wollte er keinesfalls zulassen. Er griff nach seinem Drink und wollte einen Schluck nehmen, doch das Glas war leer. Bevor er sich selbst an den Barkeeper hätte wenden können, hatte Kira diesen für ihn herangewinkt und noch einmal das Gleiche für Vincent bestellt.
Die nächsten zwei Stunden versuchte Vincent etwas Brauchbares aus Kira herauszukitzeln, doch die Antworten des Schauspielers waren entweder spitz, oder kurz oder so provokant, dass Vincent sie nicht würde verwenden können. Ein ehrlicher Bericht würde Kira als einen arroganten Mann enttarnen, und das würden seine Fans bestimmt nicht auf ihm sitzen lassen. Außerdem war das sicherlich nicht das, was der Leser einer monatlichen Kulturzeitschrift von einem Künstler lesen wollte. Als miesen und neidischen Journalisten, der kein Gefühl für Künstlerseelen hat, würde man Vincent verdammen. Hinzu kam noch, dass der Alkoholkonsum, zu welchem Kira Vincent mehr oder minder drängte, sich langsam bemerkbar machte. Ihm war heiß, und es fiel ihm schwer, noch richtig zu schreiben. Seine ohnehin nicht sonderlich saubere Schrift wurde noch unleserlicher, und Vincents Sorge, ob er morgen noch etwas davon würde lesen können, wuchs immer mehr.
„Es ist ziemlich warm hier“, bemerkte Vincent nach einer weiteren Frage, deren Antwort ihm selbst so nichtssagend erschien, dass er sie nicht einmal mehr aufgeschrieben hatte. Vincent war müde geworden und hatte das Gefühl nicht voranzukommen. Dazu kam noch, dass er am Tag wenig gegessen hatte und der Alkohol darum umso heftiger anschlug.
„Oben gibt es einen Balkon, auf den wir gehen könnten“, schlug Kira vor und schob sein Glas fort, in dem noch immer etwas war. Zwar hatte auch er nachbestellt, aber Vincent war sich nicht ganz sicher, ob er genauso viel getrunken hatte, wie er selbst.
„Etwas frische Luft würde mir sicherlich gut tun. Tut mir leid, wegen der Umstände“, murmelte Vincent und versuchte seine Sachen zusammenzupacken, wobei ihm Kira dann überraschenderweise zur Hand ging.
„Danke, das ist nett.“
Nachdem die Unterlagen ihren Weg in Vincents Tasche gefunden hatten, rutschte Vincent vom Hocker. Kira ergriff seinen Arm. Sie gingen ein paar Schritte, und Vincent stellte mit leichter Verwunderung fest, dass Kira kräftiger sein musste, als er auf den ersten Blick erschien. Er schaffte es, Vincents schwankende Schritte auszugleichen und ihn zu den Fahrstühlen zu bringen. Warum sie nicht einfach nach draußen gingen und Vincent dort frische Luft schnappen konnte, konnte er nicht mehr fragen. Sie standen ohnehin schon im Lift, der nach oben fuhr.
Doch anstatt in dem Stockwerk
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