Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
wäre wichtiger, wenn wir …«
»Zuerst liest du!«
Und Steffi las. Ab und zu schmunzelte sie, dann lachte sie laut auf. Jo entspannte sich.
»Und?«
»Das ist genial. Superwitzig.«
»Steffi, du musst nicht höflich sein.«
»Bin ich nicht! Ich find das wirklich klasse. Jo, ich will nicht nerven, aber wir haben ein Problem.«
»Houston, wir haben ein Problem? Ist es das, Steffi? Haben wir mal was anderes als Probleme?« Das kam zynischer als beabsichtigt.
Steffi war ungerührt. »Momentan zumindest haben wir eins.«
»Ja?« Jo versuchte, einen neutralen Ton anzuschlagen. »Lass uns rausgehen, hier drin fällt mir die Decke auf den Kopf, draußen bloß der Regen.«
Vor der Tür atmete sie tief durch. »Okay, ein Problem?«, und plötzlich lachte sie. Was gaben sie beide für ein Bild ab! Da standen sie, feuchte Röcke bis über die Waden hochgezogen, Steffi hatte Gummistiefel mit Blümchen drunter und sie selbst klobige Bergschuhe. Steffis Zöpfe ringelten sich regennass wie Schlangen an ihrem Hals, und ihr rann ein Bächlein in den Ausschnitt.
»Ein tolles Bild geben wir ab! Entschuldige, dass ich so bissig rüberkomme, aber der Regen zermürbt. Und dann diese Interviews. Die ganze Homepage. Ich bin heillos im Hintertreffen. Und auch sonst: Wir können keinen Terminplan einhalten. Alles schwimmt weg: Aufbauten, der Arenasand und Termine.«
»Hm, es wird wohl noch einer weggespült werden. Dein Dreh für die TV -Leute heute Nachmittag, die einige der Pferde in Zirkuslektionen filmen wollten.«
»Bitte?«
»Jo«, Steffi atmete tief durch, »Suente ist weg.«
»Suente?«
»Das Pferd von Marco, das so wunderbar stürzen kann. Es ist weg. Aus dem Stallzelt verschwunden.«
Suente, natürlich! Marco hatte in seiner Stuntpferdeschar eben auch Spezialisten. Welche fürs Stürzen, welche, die besonders gut sitzen konnten. Welche für Zirkustricks. Suente war ein Spezialist und Superstar, der in vielen Hollywoodfilmen mitgespielt hatte.
»Wie kann der verschwinden? Da sind doch Stallwachen.«
»Anscheinend war der Stallbursche kurz weggegangen. Er hat sogar noch einen Hänger wegfahren sehen. Er dachte, das sind die Pferde von diesem Friesenstall. Aber anscheinend hat da einfach einer Suente eingeladen und ist weggefahren. Am helllichten Tag.«
Jo wischte sich eine klatschnasse Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Hol Marco! Weiß er es schon?«
»Ja, er springt im Fünfeck!«
Marco kam und er kochte. Marco Cœur de Fer, Kopf der weltbesten Stunttruppe. Kaum ein Hollywood-Film mit Pferdeszenen, wo seine tierischen Schauspieler nicht dabei waren. Hochdekoriert mit dem World Stunt Award, ein Mann, der mit Pferden kommunizieren konnte. Ein kühler, kluger, professioneller Typ. Heute kochte er vor Wut – und er war augenscheinlich besorgt. Er konnte sich das nicht erklären, wie ein Pferd einfach so abhanden kommen konnte. Und dann ausgerechnet Suente. Auch Jos Einwand, dass es relativ schwer sei, ein Pferd allein zu verladen, ließ er nicht gelten.
»Meine Pferde sind Profis. Extrem gut ausgebildet. Die müssen mit Schauspielern ohne jedes Händchen für Pferde arbeiten. Sie sind kooperativ. Wahrscheinlich dachte er, das ist ein Filmdreh.«
»Wir müssen die Polizei holen!«, rief Jo.
»Genau das müssen wir nicht!« Marcos Stimme war eisenhart.
»Das ist Diebstahl! Ein wertvolles Pferd wurde gestohlen! Natürlich müssen wir die Bullen anrufen«, insistierte Jo.
»Nein! Tausendmal nein! Weißt du, was das für eine negative Publicity gibt? Womöglich Nachahmer anlockt? He, seht her, so einfach ist es, teure Andalusier zu klauen. Wir werden ihn wiederfinden.« Und mit diesen Worten drehte er auf dem Absatz um und schritt hinein in eine Wand von Regen.
Jo und Steffi starrten ihm nach.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Steffi schließlich.
»Du gar nichts, du beantwortest weiter E-Mails, ich werde mit Engelszungen die TV -Crew besänftigen und dann später nochmals mit Marco reden. Zisch ab. Und zieh dir was Trockenes an.«
Sie scheuchte Steffi davon, atmete tief durch und versuchte es mit Selbsthypnose: Alles wird gut, alles wird gut, das Pferd taucht wieder auf. Alles ist ein Missverständnis. Alles wird gut. Nicht dass sie das geglaubt hätte, außerdem hasste sie Nina Ruge.
An diesem Tag war Jo erst um neun am Abend in ihrem Haus angekommen, das sie von einer Freundin, die sich auf Weltreise begeben hatte, zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Als Haushüterin und Blumengießerin. Jo war
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