Eisfieber - Roman
vielleicht noch erwischen.«
»Heute Nacht kann sich niemand beeilen.«
»Sie brauchen doch nur Schneepflüge!«
»Die Polizei hat keine Schneepflüge.«
»Es muss hier doch welche geben! Wir brauchen sie doch fast jeden Winter.«
»Die Straßen von Schnee freizuhalten fällt nicht in die Zuständigkeit der Polizei, sondern obliegt den Gemeindeverwaltungen.«
Toni hätte schreien können vor Frustration, doch stattdessen biss sie sich auf die Zunge. »Ist Frank Hackett da?«
»Superintendent Hackett ist nicht verfügbar.«
Sie wusste von Steve, dass Frank Bereitschaftsdienst hatte. »Wenn Sie ihn nicht wecken wollen, dann tu ich ’s«, sagte sie, brach das Gespräch ab und wählte Franks Privatnummer. Als gewissenhafter Polizist, der er war, schlief er bestimmt neben dem Telefon.
Er meldete sich. »Hackett.«
»Toni. Bei Oxenford Medical ist eingebrochen worden. Die Täter haben eine erhebliche Menge von Madoba - 2 mitgenommen. Das ist das Virus, an dem Michael Ross gestorben ist.«
»Sag mal, wie konnte dir denn das passieren?«
Genau diese Frage stellte sich Toni selbst schon die ganze Zeit, doch nun, da sie von Frank kam, tat es weh. »Wenn du so supergescheit bist«, gab sie zurück, »dann überleg dir schnellstens, wie wir die Diebe fassen können, bevor sie über alle Berge sind.«
»Haben wir nicht schon vor einer Stunde einen Streifenwagen zu euch geschickt?«
»Der ist nie hier angekommen. Deine mutigen Ordnungshüter haben den Schnee gesehen und hatten die Hosen voll.«
»Na ja, wenn wir im Schnee stecken bleiben, dann kommen die Täter auch nicht weit.«
»Wer sagt denn, dass du im Schnee stecken bleiben musst, Frank? Du kannst doch mit einem Schneepflug herkommen.«
»Ich habe keinen Schneepflug.«
»Die Gemeinde hat mehrere – ruf sie an.«
Nach einer längeren Denkpause erwiderte Frank: »Nein, das tu ich besser nicht.«
Toni hätte ihn erwürgen können. Frank machte es Spaß, seine Autorität negativ geltend zu machen, das heißt, Wünsche und Bitten abschlägig zu bescheiden. Er genoss das Gefühl der Macht. Und besonders gern zeigte er ihr, Toni, die Grenzen ihres Einflusses – sie war ihm schon immer zu bestimmend gewesen. Wie konnte ich nur mit diesem Kerl so lange zusammenleben, dachte sie, verkniff sich aber eine scharfe Replik, die ihr bereits auf der Zunge lag, und fragte stattdessen: »Was überlegst du, Frank?«
»Ich kann eine bewaffnete Bande nicht von unbewaffneten Polizisten jagen lassen. Wir müssen eine Sondereinsatztruppe aus qualifizierten Leuten zusammenstellen, sie zur Waffenkammer bringen und sie mit kugelsicheren Westen, mit Waffen und Munition ausstatten. So etwas dauert etwa zwei Stunden.«
»Inzwischen entkommen die Diebe mit einem Virus, das Tausende von Menschen das Leben kosten kann!«
»Ich schreibe das Fluchtfahrzeug zur Fahndung aus.«
»Wahrscheinlich wechseln sie den Wagen. Wahrscheinlich steht schon irgendwo ein Jeep mit Vierradantrieb bereit.«
»Auch damit kommen sie nicht weit.«
»Und wenn sie einen Hubschrauber haben?«
»Toni, halt deine Fantasie im Zaum! In Schottland gibt es keine Diebe mit Hubschraubern.«
Diese Diebe sind keine ortsüblichen Ganoven, die einen Juwelier oder eine Bank beraubt haben, dachte Toni, aber Frank hat bis heute nicht richtig begriffen, was bei einer Biogefährdung auf dem Spiel steht … »Frank, bemühe jetzt mal deine Fantasie!«, sagte sie. »Diese Leute wollen eine Epidemie auslösen, vergleichbar mit der Pest!«
»Erzähl du mir nicht, wie ich meine Arbeit zu tun habe. Du bist nicht mehr bei der Polizei.«
»Frank …« Toni schwieg abrupt. Frank hatte das Gespräch einfach abgebrochen. »Frank, du bist ein blöder Hund«, sagte sie in die tote Leitung.
War Frank wirklich schon immer so ein mieser Zeitgenosse, dachte sie. Ich glaube, er war vernünftiger, als wir noch zusammen waren. Vielleicht hatte ich einen guten Einfluss auf ihn – auf jeden Fall hat er damals gerne von mir gelernt …
Sie erinnerte sich an den Fall Buchan. Dick Buchan war ein mehrfacher Vergewaltiger und Mörder, der sich trotz stundenlanger lautstarker Verhöre mit Einschüchterungen und Demütigungen aller Art bis hin zur Androhung von Gewalt geweigert hatte, Frank zu sagen, wo die Leichen versteckt waren. Toni hatte sich mit dem Mann in aller Ruhe über seine Mutter unterhalten, und nach zwanzig Minuten war sein Widerstand gebrochen. Nach dieser Erfahrung hatte Frank stets ihren Rat gesucht, wenn eine größere
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