Eisfieber - Roman
Laut mehr. Seine Gegenwehr wurde schwächer. Kit wusste, dass Harry seiner Tochter nicht den Auftrag gegeben hatte, ihn umzubringen, denn ohne ihn konnte der geplante Einbruch nicht stattfinden. Allerdings war Daisy nicht ganz klar im Kopf, und so, wie es aussah, ging sie einfach zu weit. Aus, vorbei, dachte er, ich sterbe. Seine weit aufgerissenen Augen zeigten ihm nur noch verwaschenes Grün, dann schwand seine Sehkraft, und es wurde dunkel um ihn, als sei plötzlich die Nacht über ihn hereingebrochen.
Dann verlor er das Bewusstsein.
10.00 Uhr
Ned hatte keinen Führerschein, deshalb setzte Miranda sich ans Steuer des Toyota Previa. Tom, ihr Sohn, saß mit seinem Gameboy hinter ihr. Die letzte Sitzreihe war umgeklappt, um Platz für einen Berg von Weihnachtspräsenten zu schaffen, die in rotes und goldenes Papier eingewickelt und mit grünem Geschenkband zugebunden waren.
Es begann leicht zu schneien, als sie die Seitenstraße der Great Western Road verließen, in der Mirandas Wohnung lag. Weiter nördlich, weit draußen über dem Meer, tobte ein Blizzard, doch wenn man den Meteorologen Glauben schenken konnte, würde er an Schottland vorbeiziehen.
Miranda war zufrieden: Sie war mit den beiden Männern in ihrem Leben unterwegs zu ihrem Elternhaus, wo sie im Kreise ihrer Familie das Weihnachtsfest verbringen wollte. Es erinnerte sie an ihre Studentenzeit – auch damals war sie zu Weihnachten immer heimgefahren, voller Vorfreude auf gute Hausmannskost, saubere Badezimmer, gebügelte Laken und das schöne Gefühl, von allen geliebt und umsorgt zu werden.
Ihr erstes Ziel war ein Vorort von Glasgow, in dem Neds Exfrau lebte. Sie wollten seine Tochter Sophie abholen und sie nach Steepfall mitnehmen.
Toms Gameboy gab eine abfallende Tonfolge von sich, die wahrscheinlich besagte, dass er sein Raumschiff zu Bruch gefahren hatte oder von einem Gladiator enthauptet worden war. Er seufzte und sagte: »Ich hab in so ’ner Autozeitschrift ’ne Anzeige gesehen. Da gibt’s echt coole Monitore, die hinten in die Kopfstützen eingebaut werden, damit die Leute auf den Rücksitzen Filme und so sehen können.«
»Ja, die sind natürlich ein absolutes Muss«, sagte Ned und lächelte.
»Klingt aber ziemlich teuer«, warf Miranda ein.
»Nöö, so teuer sind die nicht«, sagte Tom.
Miranda sah ihn im Rückspiegel an. »Also, wie viel?«
»Weiß ich nicht. Aber sie sahen jedenfalls nicht teuer aus.«
»Dann finde doch mal den Preis heraus, dann sehen wir, ob wir uns so etwas leisten können.«
»Ja, okay! Cool! Und wenn es dir zu teuer ist, frage ich Opa.«
Miranda lächelte. Wenn du Großvater in der richtigen Stimmung erwischst, schenkt er dir alles, was du willst, dachte sie.
Sie hatte immer gehofft, dass Tom das wissenschaftliche Genie seines Großvaters erben würde. Noch ließ sich nichts Definitives sagen. Seine schulischen Leistungen waren sehr gut, aber nicht sensationell. Außerdem wusste Miranda noch immer nicht genau, worin genau das außergewöhnliche Talent ihres Vaters lag. Natürlich war er ein brillanter Mikrobiologe, aber das war nicht alles. Einerseits war es wohl seine Fantasie, die ihm sagte, in welcher Richtung man forschen musste, um Fortschritte zu erzielen, andererseits war da aber auch seine unverkennbare Fähigkeit, ein Team von Mitarbeitern so zu führen und zu inspirieren, dass alle an einem Strang zogen. Wie konnte man bei einem Elfjährigen schon sagen, ob er über solche Eigenschaften verfügte? Momentan konnte ohnehin nichts die Aufmerksamkeit und Fantasie ihres Sohnes mehr fesseln als neue Computerspiele.
Miranda drehte das Radio an. Ein Chor sang ein Weihnachtslied. »Wenn ich noch einmal ›Ihr Kinderlein kommet‹ höre, bringe ich mich um, indem ich mich auf einem Christbaum pfählen lasse«, sagte Ned. Miranda wechselte den Sender und erwischte John Lennon mit War is Over . Ned stöhnte und sagte: »Ist dir nicht klar, dass Radio Hölle das ganze Jahr über Weihnachtslieder bringt? Das weiß doch jedes Kind.«
Miranda lachte. Kurz darauf fand sie einen Sender mit klassischer Musik. Ein Klaviertrio spielte. »Wie wär’s damit?«
»Haydn! Perfekt!«
Ned hatte für Popkultur absolut nichts übrig. Das gehörte zu seinem Image als weltfremder Intellektueller, ebenso wie seine Unfähigkeit, ein Automobil zu steuern. Miranda störte das nicht. Auch sie hielt nichts von Popmusik, Fernsehserien und billigen Kopien berühmter Gemälde. Allerdings hörte sie
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