Eisfieber - Roman
wozu die hohe Stirn und die Adlernase durchaus ihren Teil beitrugen. Sie trug einen eleganten, maßgeschneiderten Mantel und hochhackige Stiefeletten.
Miranda rappelte sich auf. Sie schnaufte leicht. Zu ihrem Entsetzen spürte sie, dass ihr im Nacken der Schweiß ausbrach. »Ich hab Seidenpapier gesucht«, sagte sie.
»Das sehe ich! Ich will wissen, was Sie überhaupt in meinem Haus zu suchen haben.«
Im Türrahmen erschien Ned. »Hallo, Jenny, ich hab dich gar nicht kommen hören.«
»Ja, offenbar habe ich dir nicht genug Zeit gelassen, Alarm zu schlagen«, erwiderte Jennifer sarkastisch.
»Tut mir Leid«, sagte er, »aber ich bat Miranda, hereinzukommen, damit sie …«
»Das war ein Fehler!«, unterbrach ihn seine Verflossene. »Ich will deine Weiber nicht in meinem Haus haben!«
Das klang, als unterhielte Ned einen ganzen Harem. Tatsache war, dass er nach der Trennung von Jennifer nur mit zwei Frauen ausgegangen war. Die erste hatte er nur ein einziges Mal gesehen, und die zweite war Miranda. Es wäre jedoch kindisch und kleinkariert erschienen, auf solche Einzelheiten hinzuweisen. Miranda beschränkte sich deshalb darauf, zu sagen: »Ich wollte bloß Sophie helfen.«
»Um Sophie kümmere ich mich. Und jetzt verlassen Sie bitte mein Haus.«
»Es tut mir wirklich Leid, dass wir dich so überfallen haben, Jenny, aber …«
»Spar dir deine Entschuldigungen. Sorg bloß dafür, dass sie verschwindet.«
Miranda lief tiefrot an. So unverschämt war sie noch nie behandelt worden. »Dann geh ich wohl besser«, sagte sie.
»Richtig!«, bestätigte Jennifer.
»Ich komme dann so bald wie möglich mit Sophie nach«, sagte Ned.
Miranda war auf Ned genauso wütend wie auf Jennifer, hätte aber in diesem Moment keinen Grund dafür nennen können. Sie war noch nicht im Flur, als Jennifer hinter ihr her rief: »Sie können die Hintertür benützen!«
Zu ihrer eigenen Beschämung zögerte Miranda, doch als sie die Andeutung eines gehässigen Lächelns in Jennifers Miene erkannte, erwachte ihr Widerspruchsgeist. »Nein«, sagte sie ruhig und steuerte auf den Haupteingang zu. Als sie am Wohnzimmer vorbeikam, rief sie: »Tom, komm mit!«
»Einen Moment noch!«, rief er zurück.
Miranda ging zu ihm. Tom sah fern. Sie packte ihn am Handgelenk, riss ihn vom Sofa und schleifte ihn mit sich.
»Das tut weh!«, protestierte er.
Miranda knallte die Eingangstür hinter ihnen zu. »Das nächste Mal kommst du sofort, wenn ich dich rufe!«
Ihr war zum Heulen zumute, als sie in den Wagen stieg. Jetzt konnte sie nur noch in ihrem Auto sitzen und warten wie eine Dienerin, während sich Ned im Haus mit seiner Ex-Frau amüsierte. Ob Jennifer das ganze Drama geplant hat, um mich zu demütigen, fragte sie sich. Zuzutrauen ist es ihr durchaus. Ned hat sich unmöglich benommen … Miranda wusste jetzt, warum sie so sauer auf ihn war: Er hatte zugelassen, dass Jennifer sie beleidigte, ohne auch nur ein Wort dagegen zu sagen. Stattdessen hatte er sich unentwegt entschuldigt. Und wofür? Wenn Jennifer rechtzeitig den Koffer ihrer Tochter gepackt oder das Mädchen dazu gebracht hätte, es selber zu tun, hätte Miranda das Haus gar nicht erst betreten müssen. Am meisten aber ärgerte sie sich darüber, dass sie ihren Zorn an Tom ausgelassen hatte. Jennifer hätte ich anbrüllen sollen, dachte sie, nicht ihn …
Sie sah ihn im Rückspiegel an und sagte: »Tommy, es tut mir Leid, dass ich so grob zu dir war.«
»Schon gut«, sagte er, ohne von seinem Gameboy aufzublicken. »Mir tut es Leid, dass ich nicht sofort gekommen bin, als du mich gerufen hast.«
»Dann ist ja alles vergeben und vergessen«, sagte sie. Eine Träne rollte ihr über die Wange, und sie wischte sie rasch fort.
11.00 Uhr
»Viren töten Tag für Tag Tausende von Menschen«, sagte Stanley Oxenford, »und durchschnittlich alle zehn Jahre fallen in Großbritannien an die fünfundzwanzigtausend Menschen einer Grippe-Epidemie zum Opfer. Die Spanische Grippe 1918 hat mehr Todesopfer gefordert als der gesamte Erste Weltkrieg. Im Jahr 2002 starben weltweit drei Millionen Menschen an Aids, das durch das HIV -Virus hervorgerufen wird. Außerdem spielen Viren bei zehn Prozent aller Krebserkrankungen eine Rolle.«
Toni, die rechts neben ihm in der Großen Halle unter dem polierten Gebälk der dem Mittelalter nachempfundenen Dachkonstruktion saß, hörte ihm aufmerksam zu. Er klang ruhig und beherrscht, aber sie kannte ihn gut genug, um den kaum
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