Eisfieber - Roman
gerne Weihnachtslieder.
Sie mochte Neds Eigenarten und Macken. Trotzdem ging ihr das Gespräch mit Olga im Café nicht aus dem Kopf. War Ned ein Weichei? Schon manchmal hatte sie sich gewünscht, er hätte mehr Durchsetzungsvermögen. Jasper, ihr geschiedener Mann, besaß diese Eigenschaft im Überfluss, und es kam vor, dass Miranda sich nach jener Art von Sex sehnte, wie sie ihn von Jasper kannte. Er war im Bett ein Egoist und hatte sie hart rangenommen, immer nur an sein eigenes Vergnügen denkend. Miranda, wie sie sich zu ihrer Schande eingestand, hatte sich dadurch befreit gefühlt und es genossen. Später war der Reiz verflogen. Sie erkannte, dass Jasper auch auf allen anderen Gebieten egoistisch und rücksichtslos war und hatte die Nase gestrichen voll von ihm. Dennoch wünschte sie sich insgeheim, Ned wäre wenigstens manchmal ein wenig wie Jasper.
Kit fiel ihr ein. Seine Absage war eine bittere Enttäuschung für sie gewesen. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, ihn zu überreden, dass er Weihnachten mit der Familie feierte. Zuerst hatte er den Gedanken weit von sich gewiesen, dann aber nachgegeben und zugesagt. Bei so viel Sprunghaftigkeit konnte sie sein neuerlicher Sinneswandel eigentlich nicht sonderlich überraschen. Trotzdem empfand Miranda seine Absage als schmerzhaften Schlag, weil sie so gerne die ganze Familie um sich gehabt hätte, so wie es zu Mamma Martas Lebzeiten meistens gewesen war.
Der Bruch zwischen Daddy und Kit machte Miranda Angst. Er war so kurz nach Mammas Tod gekommen. Die Familie erschien auf einmal so verwundbar und zerbrechlich – und wenn schon die Familie keine Sicherheit mehr bot, wo sollte es da noch Gewissheiten geben?
Sie bog von der Hauptstraße ab in eine ehemalige Arbeitersiedlung, wo sich ein kleines Steinhaus an das andere reihte. Vor einem etwas größeren, in dem früher ein Vorarbeiter gewohnt haben mochte, hielt sie an. Hier hatten Ned und Jennifer bis zu ihrer Trennung vor zwei Jahren gelebt. Davor hatten sie das Haus unter großem Kostenaufwand renoviert und modernisiert, und die Ratenzahlungen belasteten Ned noch immer. Jedes Mal, wenn Miranda hier vorbeifuhr, ärgerte sie sich über die hohe Summe, mit der Ned Jennifer unterstützte.
Jetzt zog sie die Handbremse an, ließ aber den Motor laufen. Sie und Tom blieben im Wagen sitzen, während Ned durch den Vorgarten zum Eingang ging. Miranda betrat das Haus nie. Obwohl Ned Miranda erst kennen gelernt hatte, nachdem er das eheliche Heim längst verlassen hatte, benahm sich Jennifer ihr gegenüber so feindselig, als wäre Miranda für das Scheitern der Ehe verantwortlich. Sie ging ihr möglichst aus dem Weg, gab sich am Telefon stets kurz angebunden und bezeichnete sie, wie Miranda durch die indiskrete Sophie erfahren hatte, im Gespräch mit ihren Freundinnen nur als »diese fette Nutte«. Jennifer selber war spindeldürr und hatte eine Nase wie ein Vogelschnabel.
Die vierzehnjährige Sophie, in Jeans und leichtem Pulli, öffnete die Tür. Ned gab ihr einen Kuss und ging hinein.
Aus dem Autoradio erklangen Dvorˇáks Slawische Tänze. Auf dem Rücksitz piepste in unregelmäßigen Abständen Toms Gameboy. Draußen wirbelten Schneeflocken um den Wagen. Miranda stellte die Heizung höher.
Ned kam wieder aus dem Haus und trat an Mirandas Wagenfenster. Er wirkte verärgert. »Jennifer ist nicht da«, sagte er, »und Sophie hat noch nicht einmal angefangen, sich reisefertig zu machen. Wärst du so nett, mit reinzukommen und ihr beim Packen zu helfen?«
»Ach, Ned, ich glaube nicht, dass das gut wäre«, sagte Miranda, die sich alles andere als wohl in ihrer Haut fühlte. Es war ihr unangenehm, das Haus zu betreten – auch und gerade dann, wenn Jennifer nicht da war.
Ned schien kurz vor einem Panikanfall zu stehen. »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was so ein Mädchen alles braucht.«
Das glaubte Miranda sofort. Für Ned war es ja schon eine fast unlösbare Aufgabe, seinen eigenen Koffer zu packen. In den Jahren mit Jennifer hatte er es kein einziges Mal getan. Vor ihrem ersten gemeinsamen Urlaub – einer Kunst- und Kulturreise nach Florenz – hatte sich Miranda aus Prinzip geweigert, ihm diese Arbeit abzunehmen, und ihn damit gezwungen, es zu lernen. Allerdings hatte sie bei späteren Reisen – einem Wochenende in London, vier Tagen in Wien – Neds Gepäck überprüft und prompt jedes Mal entdeckt, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte. Für jemand anders den Koffer zu packen war offenbar
Weitere Kostenlose Bücher