Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
ein paar Euros in der Tasche hatte, konnte im Schatten des Grunewald-Turms zünftig einkehren. Während die späte Nachmittagssonne irgendwo hinter Gatow in den Boden versank, konnte man entspannt den belanglosen Tischgesprächen der Kaffeegäste zuhören. Meistens drehte es sich um olympischen Abfahrtslauf. Nur nicht bei den beiden russischen Frührentnern am Nachbartisch. Die diskutierten über die Rendite-Chancen von Mammut-Elfenbein aus dem nordwestsibirischen Tiefland: “Der Treibhauseffekt taut die Permafrostböden auf, Aljoscha. Wenn du investieren willst, musst du dich jetzt entscheiden!”
"Terror bitte hier abladen. Danke."
Neben dem “Profi-Solarium und Nagelstudio” in der Driesener Straße hat endlich die kleine Bäckerei wiedereröffnet. “Beauty Bake” heißt der Laden jetzt. Der neue Pächter beglückt das erlauchte Kiezpublikum auch sonntags mit “internationalem Gebäck”. Auf großen Reklametafeln leuchten dem Passanten lasziv solariumgebräunte Croissants, Brötchen und Brezeln entgegen. Trotz der globalen Katastrophen bleibt im nördlichen Prenzlauer Berg das Leben ein langer, ruhiger Fluss.
Schon weit vor dem elften September hat jemand auf eine einsam herumstehende Gabelstaplerpalette gesprayt: “Terror bitte hier abladen. Danke.” Bis heute ist nichts passiert. Nur die Schivelbeiner Straße ist komplett aufgerissen worden. Irgendwann einmal wird der Autoverkehr ungehindert von den Schönhauser-Allee-Arkaden zum Gesundbrunnen-Center in Wedding fließen können. Bis dahin stört nur das Gebell der kläffenden Hunde die Bücherleser auf dem Arnimplatz. Feuerrot und prall verschwindet über ihren Köpfen jeden Abend die Sonne in Richtung Westberlin.
Die Brücke, die unser Viertel mit dem Nachbarbezirk verbindet, wird erst in ein paar Jahren fertig gebaut. Im Schaufenster des Antiquariats an der Ecke liegen derweil noch die Reste einer kleinen Feier. Auf grünem Krepppapier werden Trinkgläser und eine Wodkaflasche von einem DDR-Wimpel umhüllt. Der Antiquar hat auch in diesem Jahr die Nachbarn eingeladen, “ganz zwanglos” den Jahrestag der DDR-Gründung zu begehen. Der Handel treibende Bücherfreund ist ein eminent politisch denkender Mensch. An seinem Briefkasten hängt ein Schild mit der Aufschrift: “Stop – keine Werbung! Die Zukunft unserer Kinder ist wichtiger als Postwurfsendungen.”
Kreativ sparen
Kurz bevor das Haus an einen ostholsteinischen Finanzbeamten rückübertragen wurde, legte sich die kommunale Wohnungsbaugesellschaft noch einmal ins Zeug. Nun leuchtet mein Namensschild von einem wuchtigen Briefkasten in Braun-Metallic. Im trüben Licht der Wintersonne lese ich im Innenhof meine Post. “Freuen Sie sich auf schonende Sanierung des Hauses! Verfolgen Sie den Fortgang der Bauarbeiten aus Ihrer gewohnten Umgebung!”, jubelt der neue Vermieter.
Immerhin. Ein Hausbesitzer in der Greifenhagener Straße hat neulich die Gasleitungen angesägt, um das Haus und die sanierungsunwilligen Mieter loszuwerden. Man darf gespannt sein, was in unserem Fall geplant ist. Wahrscheinlich wird das Haus abgerissen, während wir vom Fenster aus zuschauen. Vielleicht werden aber auch einfach nur Bauarbeiter mit dem Presslufthammer die Wand durchbrechen und sich aus dem Kühlschrank ein paar Flaschen Bier besorgen: “Nee, nee, det jeht schon, bleibnse ruhich liejen!” Unser Haus liegt im Milieuschutzgebiet: Der Vermieter wird also wegen der bürokratischen Hürden mit der Sanierung möglicherweise überhaupt nicht beginnen können.
Vielleicht sollte er die Miete einfach so erhöhen, ohne etwas zu verändern, dann würde man ihn auch im Hinterhaus endlich als Geschäftsmann ernst nehmen. Apropos Geschäftsmann. Mein Sparkassen-Kundenbetreuer verkündet, jetzt sei auch für mich der richtige Zeitpunkt zum “kreativen Sparen” gekommen. Hier im Hinterhaus, fällt mir dabei ein, wohnte einmal einer der Tunnelgangster, die sehr kreativ den Tresor einer Westberliner Sparkassenfiliale ausgeräumt haben. Das hat mir jedenfalls Herr Krähenburg aus dem Vorderhaus erzählt.
Nirwanische Seligkeit
“Der traditionelle Stirnguss versetzt Sie im Handumdrehen in nirwanische Seligkeiten”, schwärmte der Hotelkatalog. Ein Wellness-Wochenende in einem Ayurveda-Hotel in Thüringen. Incentive für verdiente Mitarbeiter. Doch unsere Lage war nicht gerade rosig: Der größte Konkurrent drohte mit feindlicher Übernahme, intern drohte die Abwicklung unserer Abteilung, und der Hauptvorstandschef
Weitere Kostenlose Bücher