Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
alten WG-Tagen die Fernbedienung weitergegeben. Der dezente Hinweis auf die Verantwortung, die mit der Macht einhergeht, war natürlich zwecklos. Wir waren berüchtigt für das Anzappen der abseitigsten und langweiligsten Programme, die die Satellitenschüssel hergab. Dem Reiz des Quotenkillers kann ich mich seitdem auch beim Radiohören nicht entziehen.
Neulich geriet ich in die Liveübertragung eines fortschrittlichen evangelischen Gottesdienstes im Deutschlandfunk. Während ich am Frühstückstisch beim Kaffee saß, zelebrierte man in den Suburbs von Hamburg gerade das Abendmahl: “Und er brach das Brot und teilte es mit seinen Jüngerinnen und Jüngern.” Die Pastorin wandte sich dann an die Hörer: “Tja, wenn Sie gerade ein Brötchen und vielleicht noch eine angebrochene Flasche Wein griffbereit haben, können Sie ja mitmachen!” Gute Idee dachte ich mir, der Türkentrank allein macht ja nur blass und krank, und ein Korkenzieher liegt immer griffbereit.
Dabei musste ich dann an Schorsch Dabbelju denken. Der trinkt keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr, seit er an seinem vierzigsten Geburtstag zum christlichen Glauben gefunden hat. Spaß versteht er auch nicht mehr. Stattdessen trägt er dicke Navy-Daunenjacken, hockt mit seinen Kumpels in unterirdischen Bunkern und bekehrt die Heidenvölker mit Cruise-Missiles. Was mich aber wirklich stört: Wegen Schorsch Dabbelju laufen im Fernsehen jetzt überberall dieselben Sondersendungen und Fernsehpredigten – zappen ist zwecklos. Wenn Quotenkiller die Welt regieren, macht es keinen Spaß mehr, die Macht über die Fernbedienung zu haben. Aber gut, dann werde ich halt jetzt Radiotrinker.
Zweimal Julia
“Sophie Scholl – Die fetten Jahre”. Nee, Quatsch. Nee, doch! Fast hätte ich beim Radeln durch das Grenzgebiet von Schöneberg/Wilmersdorf die Reklame des Cosima-Kinos übersehen. Doch das kam mir jetzt doch etwas merkwürdig vor. Also schaute ich noch mal zurück. Bisher hat man uns immer nur sieben magere Jahre vorgesetzt. Das war wohl nur die Kehrseite der Medaille. Jetzt also endlich die Vollfettstufe. Die ganze Scholl abendfüllend, eine Delikatesse, la grande bouffe. Und Schokolade zum Frühstück. Aber dann wiederum: Ist das nicht etwas sehr verkürzt? Stellt das nicht die Dinge auf den Kopf? Und mal ehrlich: Ist das nicht irgendwie auch ganz schön geschmacklos?
Wie ist so was nur möglich! Gibt es denn keine freiwillige Film-Selbstkontrolle mehr, die uns vor dem Missbrauch der Meinungsfreiheit bewahrt? Geht Otto Schily nicht mehr oft genug ins Kino? Hier wird ja hart am 8. Mai vorbei unsere antifaschistische Vergangenheit durch den Kakao gezogen! Wenn das nicht eindeutig pervers, staatsfeindlich und jugendgefährdend ist, was dann? Mir schwante Fürchterliches. Bald würden wir Titel lesen müssen wie: “Stauffenberg – Piraten in der Karibik” oder “Speer – Alle sagen I love you”.
Doch halt, die Anständigen sollen sich ihren Aufstand für später aufsparen. Ein Blick in das Kinoprogramm der taz überzeugte mich davon, dass im Cosima tatsächlich beide Filme parallel laufen. “Die letzten Tage” und “Die fetten Jahre”. Und in beiden Fällen natürlich mit Julia Jentsch. Es ist gar nichts Schlimmes passiert. An der Fassade des Cosima ist einfach zu wenig Platz, und vielleicht sind auch die Buchstaben knapp geworden, die fetten Jahre sind wirklich vorbei.
Zum Glück gibt's Österreich
Warum liegt die österreichische Botschaft ausgerechnet in der Stauffenbergstraße? Welche Botschaft will man damit rüberbringen? “Die Mörder sind immer die Deutschen!”? Will man deutsche Touristen dazu auffordern, mit sprengstoffgefüllten Aktentaschen die FPÖ-Parteizentrale zu besuchen!? Auf diese Idee war ich bisher nicht gekommen. Aber: “Zum Glück gibt’s Österreich”.
Unter diesem Titel hat der Wagenbach-Verlag gerade eine Anthologie junger österreichischer Literatur herausgebracht, die Anfang der Woche in der Stauffenbergstraße vorgestellt wurde, in Anwesenheit der Nachwuchstalente Xaver Bayer, Franzobel und Kathrin Röggla. Bayer sieht aus wie ein echter Österreicher, dünner Oberlippenbart, braun gebranntes Gesicht: “Ich arbeite nicht, ich lasse mein Blut fließen!” Es folgen paranoide Selbstbespiegelungen, wie man sie aus der Alpenrepublik erwartet. Geschichten über Menschen, die allen anderen zutrauen, was sie sich selbst zutrauen: das Schlimmste. Die “Mahnmal” sagen, wenn sie “Manchmal” sagen wollen. Und hinter
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