Eisige Naehe
jetzt.«
MITTWOCH, 16.15 UHR
Volker Harms war wieder in seinem Büro, das Fenster stand sperrangelweit offen. Er blickte auf den Innenhof, die Hände in den Taschen seiner Cordhose vergraben, und drehte sich nicht einmal um, als Henning und Santos den Raum betraten. Eine greifbare Spannung lag in der Luft.
»Wo kommt ihr her?«, fragte er mit leiser Stimme. »Von draußen«, antwortete Henning und merkte im selben Moment, dass diese scherzhafte Bemerkung nicht angebracht war. Nicht hier und jetzt. »Ihr seid schon lange weg aus Mönkeberg. Wo wart ihr?«
»Unterwegs.«
»Und wo, wenn ich fragen darf?«, sagte Harms, wandte den Kopf zur Seite und blickte seine besten Mitarbeiter, wie er sie immer nannte, aus dem Augenwinkel an. »Und bitte, seid ehrlich.«
»Was ist passiert? Volker, was ist passiert?« »Was passiert ist? Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße und merken's nicht, das ist passiert. Und ihr treibt euch irgendwo rum und ...«
»Augenblick, du hättest uns anrufen und fragen können, wo wir sind«, wehrte sich Santos. »Außerdem hast du uns freie Hand gelassen.«
»Ja, ich weiß. Aber das kann ich jetzt nicht mehr. Wir sind raus aus der Nummer, ein für alle Mal. Das LKA übernimmt die Ermittlungen im Fall Klein.« Henning verengte die Augen zu kleinen Schlitzen. »Ich frage dich noch mal: Was ist passiert? Wir waren vor gut zwei Stunden hier, und du warst nicht da. Uns wurde nur mitgeteilt, dass du bei der Staatsanwaltschaft bist. Hat dich Rüter mal wieder zu sich zitiert?« »Sören, ich habe keinen Bock mehr auf diese Scheiße, ich habe einfach keinen Bock mehr. Rüter hat mir irgendeinen Quatsch erzählt, von wegen organisiertes Verbrechen und so weiter, und dass ihr nicht erfahren genug seid, in dem Fall zu ermitteln.«
Als Harms nicht weitersprach, sagte Santos: »Das ist ein Mordfall und hat mit organisiertem Verbrechen meines Erachtens noch nichts zu tun. Woher will Rüter das mit der OK überhaupt wissen?«
»Danach habe ich ihn auch gefragt, worauf er geantwortet hat, er sei mir gegenüber keinerlei Rechenschaft schuldig. Solltet ihr euch dennoch weiter mit Klein oder gar Bruhns befassen, werdet ihr vorläufig vom Dienst suspendiert, und es wird möglicherweise zu einem Disziplinarverfahren kommen. Das soll ich euch ausrichten.« »Wie schön. Lisa, was hältst du davon, wenn wir Rüter bitten, uns das ins Gesicht zu sagen? Wir sind nicht erfahren genug, was für ein Schwachsinn! Außerdem können wir gar nicht vom Dienst suspendiert werden, wenn wir in einem Mordfall ermitteln, solange wir nicht gegen die Regeln verstoßen.«
Harms setzte sich, seine Haut war fahl, sein Blick resigniert. Der ehemalige Kämpfer hatte seine Kraft verloren.
»Ich würde euch davon abraten, zu Rüter zu gehen, der hat sich auf euch eingeschossen, und ich habe keine Ahnung, warum. Habt ihr ihm irgendwas getan, von dem ich nichts weiß?«
»Im Gegenteil, wir gehen ihm aus dem Weg, wo wir nur können. Dieses Arschloch. Entschuldige, aber ich hab so 'n Hals. Jetzt mal Butter bei die Fische. Bist du noch aufnahmefähig?« Henning nahm ebenfalls Platz, während Santos sich ans Fenster stellte und ihren Kaffee trank. »Wenn du mir nicht gerade die Relativitätstheorie erklären willst.«
»Wir haben noch nicht über Klein gesprochen. Interessiert dich gar nicht, was wir vorgefunden haben?« »Schieß los.«
»Klein wurde bestialisch umgebracht, ich hoffe, wir kriegen wenigstens noch mal die Fotos zu Gesicht...« »Du hast doch welche mit deinem Handy gemacht«, warf Santos ein.
»Stimmt, hab ich ganz vergessen. Ich lad sie auf meinen Rechner, dann kannst du sie sehen. Hast du Rüter irgendwas über unsere Aktivitäten erzählt?« »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Keinen Ton.«
In den folgenden Minuten berichteten Henning und Santos abwechselnd vom Tatort. Santos erzählte auch von ihrem Gespräch mit Jürgens und von den Drohungen, die er ebenso wie Tönnies erhalten hatte. Harms sah sie beide lange an, bevor er seine Frage stellte: »Wer sind die Bösen?«
»Das versuchen wir herauszufinden. Dazu brauchen wir aber dein Okay. Wir werden dich auch nicht in Schwierigkeiten bringen, versprochen.« »Auf Samtpfoten?« »Auf Samtpfoten.«
»Ich kann euch ja nicht in Ketten legen, ich könnte euch höchstens dazu verdonnern, endlich den Aktenberg abzuarbeiten, wie Rüter mir vorgeschlagen hat.« Santos trat an den Schreibtisch. »Da wäre noch etwas. Du hast gefragt, wo wir gewesen sind.
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