Eisige Naehe
Eigenschaften, die sie schützten und womöglich verhinderten, dass sie ihren wahren Gefühlen zu viel Raum gewährte.
»Danke. Das Kompliment nehme ich gerne an. Frauen in meinem Alter tun solche Schmeicheleien gut.« »Sarah, ich bitte dich, das hast du doch nicht nötig ...« »Aber die Streicheleinheiten sind das Sahnehäubchen auf einem guten Kaffee. Wobei ich gestehen muss, dass auch du dich nicht ein Stück verändert hast seit unserem letzten Treffen voriges Jahr.« »Es ist gerade mal sieben Monate her.« »Ich kenne Menschen, die sich in sieben Monaten unglaublich verändert haben. Wir beide scheinen nicht zu altern, es kommt mir jedenfalls so vor«, sagte sie lächelnd.
»Das liegt wohl daran, dass wir nicht nur Vorsätze fassen, sondern sie auch in die Tat umsetzen.« »Ich kann dir nicht ganz folgen«, sagte Sarah Schumann, während sie sich in das blaue Zimmer begaben, die Bibliothek, in der sich mehr als viertausend Bücher befanden und wo dennoch so viel Platz war, dass man nicht das Gefühl hatte, erdrückt zu werden. Sarah Schumann lebte im Luxus, aber er bildete nicht den Mittelpunkt ihres Lebens, sie war keine jener High-Society-Ladys, deren Lebensinhalt aus nichts als Shopping rund um den Globus, Protzen und Verachtung anderer bestand. Sie hatte die Mittel, sich vieles leisten zu können, aber sie war auch eine der großzügigsten Frauen aus der Oberschicht, die Schmidt kannte. Sie war eine Mäzenin für Kunst und Kultur, sie hatte mehrere Stiftungen ins Leben gerufen, unter anderem für misshandelte und missbrauchte Frauen und für Lernbehinderte, die trotz allem eine Chance im Leben haben sollten, doch mehr als alles andere lagen ihr Kinder am Herzen, deren Körper und Seele durch traumatische, meist sexuelle Übergriffe schwersten Schaden genommen hatten.
Im Raum dominierten Blautöne, angefangen beim Teppichboden über die Sitzgarnitur und die Tapete bis hin zu den Vorhängen. Dennoch war die Atmosphäre alles andere als kühl.
»Nimm Platz. Ich habe uns einen Tee gekocht, eine sanfte, seltene Mischung aus Peru. Du wirst ihn lieben, auch wenn es kein Pfefferminztee ist.«
Auf dem runden Tisch standen zwei Tassen und eine kleine Schale mit Gebäck und ein Stövchen, auf dem die Teekanne warm gehalten wurde.
Sarah Schumann schenkte ein und setzte sich in den Sessel neben Schmidt. Sie streichelte ihm über die Hand und sagte: »Ich freue mich sehr über deinen Besuch, mehr, als du dir vorstellen kannst.«
»Ich mich auch.« Schmidt blickte ihr in die Augen. »Aber lass uns zum geschäftlichen Teil übergehen, sonst tue ich noch etwas Unbedachtes.«
»Und das wäre?«, fragte sie mit dem Anflug dieses spöttischen Lächelns, das er so sehr an ihr mochte, seit dem ersten Abend und der ersten Nacht des 12. Oktober 1984.
»Ich bin in festen Händen, und ich liebe Maria über alles, das habe ich dir schon ein paarmal gesagt.« »Ich weiß, aber du kannst mir nicht verbieten, dich trotzdem zu lieben. Ich bleibe dabei, wir sind Seelenverwandte und sind uns nicht umsonst begegnet. Ohne mich wärst du mit Sicherheit nicht da, wo du heute bist, und ohne dich wäre ich vermutlich schon längst tot. Manchmal wünschte ich mir, zehn oder fünfzehn Jahre jünger zu sein.«
»Es ist gut so, wie es ist, Sarah. Das Wichtige ist doch, dass wir uns aufeinander verlassen können.« »Ja, natürlich, du hast recht. Entschuldige, wenn ich etwas sentimental klinge, aber ...« »Was?«, fragte er, als Sarah nicht weitersprach. »Nichts, nichts, vergiss es.« »Nun sag schon!«
»Also gut, wenn du's unbedingt wissen willst - die Zeit läuft mir davon. Jedes Jahr vergeht ein Stückchen schneller und ...«
»Sarah, du bist sechzig und siehst aus wie Anfang oder Mitte vierzig. Die meisten Frauen können sich eine Scheibe von dir abschneiden.«
»Das ist es nicht. Die Zahl steht, und in meiner Familie gibt es niemanden, der älter als siebzig wurde. Ich habe Angst vor dem Alterwerden und ein wenig auch vor dem Tod. Oh, oh, ich hatte mir doch geschworen, nie darüber zu sprechen, und jetzt habe ich's doch getan.« »Gut, dass du darüber sprichst. Und merke dir: Ausnahmen bestätigen die Regel. Du wirst steinalt, du wirst es sehen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.« Sie trank ihren Tee und schenkte sich nach, während Schmidts Tasse noch unangetastet auf dem Tisch stand. »Themenwechsel: Wann darf ich Maria endlich einmal kennenlernen? Ich möchte wissen, wie die Frau beschaffen ist, die es fertiggebracht hat, dich
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