Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisige Naehe

Eisige Naehe

Titel: Eisige Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
Wir waren nicht nur bei Klein, wir haben auch hier im Präsidium recherchiert und uns mit Frankfurt kurzgeschlossen ...« Sie berichtete von ihrem Telefonat mit Julia Durant, von Sarah Schumann und deren Haus in Kiel. »Habe ich was vergessen?«, fragte sie Henning zum Schluss.
    »Ich glaube, nein.«
    Harms zog wortlos die untere Schublade seines Schreibtischs heraus, entnahm eine Flasche Wodka und ein Glas und schenkte sich ein, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
    »Darauf muss ich einen trinken.«
    »Im Dienst?« Henning tat verwundert, obwohl er seit Wochen ahnte, dass Harms trank.
    »Tu doch nicht so, ihr wisst das doch längst. Ich habe dauernd das Fenster auf, lutsche Pfefferminz und diesel mich mit Eau de Toilette ein. Ich hör auch wieder auf damit, nur im Augenblick wächst mir hier alles über den Kopf. Und nicht nur hier. Scheißleben!« Er trank das Glas in einem Zug leer, ließ die Flasche aber auf dem Tisch stehen.
    »Pack die weg, wenn jemand reinkommt...« »Um die Zeit kommt nie jemand rein.« »Hast du auch private Probleme?«, fragte Santos vorsichtig.
    Harms verzog den Mund, es war, als würde er gleich anfangen zu weinen. Er drehte den Kopf zur Seite und sagte nach einer Weile mit stockender Stimme: »Ich hab's eigentlich nicht erzählen wollen. Marion liegt seit drei Wochen in der Klinik. Krebs im Endstadium, keine Chance, dass sie die nächsten sechs Monate überlebt, wahrscheinlich wird sie es nicht mal mehr bis zum Sommer schaffen. Sie wird mit Schmerzmitteln und Morphium vollgepumpt und kommt morgen auf die Palliativstation. Was das bedeutet, brauche ich euch nicht zu erklären. Zweiunddreißig Jahre Ehe einfach so zu Ende. Aus und vorbei. Das ist alles. Das Haus ist leer, ich halt's dort nicht aus, ich dreh fast durch, wenn ich es nur betrete. Ich wohne zurzeit bei einem Freund, der eine Pension betreibt.« »Was für einen Krebs hat sie?«
    »Lungenkrebs. Ich habe ihr immer und immer wieder gesagt, sie soll doch bitte nicht so viel rauchen, aber die Sucht war stärker. Zwei bis drei Schachteln am Tag, und das, seit wir uns kennen. Tja, dann kam vor einem Jahr der Husten, dann die Atemnot, sie hat rapide abgenommen und so weiter und so fort. Aber erst als ich sie gezwungen habe, ist sie zum Arzt gegangen, ich musste sie förmlich hinschleifen. Das Röntgenbild war eindeutig, ein mächtiger Tumor im rechten Lungenflügel. Metastasen in der Leber, den Nieren, eigentlich überall. Dabei ist sie gerade mal zweiundfünfzig, sie sieht aber aus wie siebzig. Ich bin jeden Tag bei ihr, doch ohne dieses Teufelszeug ertrage ich das alles nicht«, sagte er und deutete auf die Flasche Wodka. »Manchmal erkennt sie mich gar nicht mehr, da ist sie so mit Medikamenten zugedröhnt, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnimmt. Sie wird künstlich beatmet, nur noch ein kleines Häuflein Mensch ... Deswegen kipp ich mir seit Tagen regelmäßig einen hinter die Binde. So viel zum ach so starken Volker Harms, der immer alles unter Kontrolle hat.« »Warum hast du nie darüber gesprochen?«, fragte Santos mitfühlend. »Wir sind doch immer für dich da. Mensch, Volker ...«
    »Habe ich doch eben. Tut mir nur einen Gefallen und posaunt es nicht in der Gegend rum, ich brauche kein geheucheltes Mitleid.«
    »Das darfst du jetzt nicht falsch verstehen, aber fühlst du dich überhaupt noch in der Lage ...« »Ich fühle mich in der Lage, es ist das Einzige, was mich am Leben hält, auch wenn's mich am Ende vielleicht umbringt. Ich zermartere mir die ganze Zeit das Hirn, warum sie sich und mir das angetan hat. Ich krieg keine Antwort darauf.«
    »Können wir irgendwas für dich tun?« »Ja, das könnt ihr. Zeigt diesen verfluchten Schweinehunden, dass ihr besser seid. Ich werde mich nicht dem Diktat eines Rüter oder wem auch immer beugen, nur damit die ihre Vertuschungsaktionen durchziehen können. Wenn ihr Verstärkung braucht, dann holt euch die Frankfurter. Verdammt noch mal, ich habe die Schnauze voll... Jetzt fahr ich in die Klinik, mit dem Taxi, nur zu eurer Beruhigung.«
    »Du musst wissen, was du tust«, sagte Santos, die Angst hatte, dass ihr Vorgesetzter, den sie über alles schätzte, etwas Unbedachtes tat. »Aber wenn irgendwas ist ...« »Ja, ja, schon recht, aber ich komm klar. Macht ihr lieber euren Kram, aber so, dass ihr nicht ins offene Messer lauft. Habt ihr mich verstanden?«
    »Haben wir. Danke, dass du uns eingeweiht hast«, sagte Henning und klopfte Harms auf die Schulter. »Das

Weitere Kostenlose Bücher