Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisige Naehe

Eisige Naehe

Titel: Eisige Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
Leben ist manchmal wirklich ungerecht.« »Nein, wir sind viel zu oft ungerecht zum Leben. Es wurde uns geschenkt, und wir treten es mit Füßen.« Harms trank noch einen Schluck, legte die halbvolle Flasche und das Glas in die Schublade, schloss ab und steckte den Schlüssel ein, zog seine Jacke über und verließ ohne ein Wort des Abschieds das Büro, ein gebrochener Mann. Nichts schien von seiner Stärke geblieben, vielleicht würde sie eines Tages zurückkehren, wenn er nicht mehr jeden Tag in die Klinik fahren musste, wenn er sich damit abgefunden hatte, dass seine Marion nicht mehr zurückkehren würde.
    Santos' Handy klingelte, die Nummer des Anrufers war unterdrückt.
    »Ja?«
    »Hallo, Frau Santos. Hier Albertz. Können wir uns heute noch treffen? Sie, Herr Henning und ich?« »Wann und wo?«
    »In Bruhns' Haus in Schönberg. Dort sind wir garantiert ungestört. Um halb neun?« »Einverstanden. Sie kommen allein?« »Ich sehe den Hintergrund Ihrer Frage und kann Ihre Bedenken nur zu gut verstehen. Aber denken Sie einmal darüber nach: Hätte ich Ihnen eine Falle stellen wollen, hätte ich dies bereits gestern getan. Bis nachher.« Santos steckte das Handy wieder in die Tasche und sagte:
    »Albertz. Er will sich mit uns treffen. Um halb neun in Schönberg.«
    »Wo in Schönberg?«, fragte Henning, als kannte er die Antwort bereits. »In Bruhns' Haus.« »Was? Das ist versiegelt.«
    »Wenn Albertz tatsächlich ein hohes Tier ist, wird ihn das nicht abhalten. Lass uns nach Hause fahren, ich möchte mich vorher frisch machen und was essen.«
     
     

MITTWOCH, 16.20 UHR
    Hans Schmidt hatte nur etwa vierhundert Meter zu laufen, bis er am Haus anlangte. Er drückte dreimal kurz hintereinander die Klingel, leise ertönte der Torsummer. An der Haustür wurde er von der Hausherrin bereits erwartet. Sarah Schumann war elegant und zugleich sportlich gekleidet, der Jahreszeit angemessen, doch in hellen Farben, sie war dezent geschminkt, ihre braunen, feurigen Augen hatten nichts von ihrer Leuchtkraft eingebüßt, seit sie sich vor fast fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal begegnet waren. Im November war sie sechzig geworden, doch niemand hätte sie auf dieses Alter geschätzt, sah sie doch mindestens fünfzehn Jahre jünger aus. Sie lebte gesund, ernährte sich vegetarisch, hatte das Rauchen schon vor mehr als zwanzig Jahren aufgegeben, trank kaum Alkohol, und sie hielt sich fit, indem sie jeden Tag wenigstens eine Stunde Sport trieb. Zudem verfügte sie über einen wachen Verstand, der nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken war, dass sie aus einer Akademikerfamilie stammte (ihr Vater war ein hohes Tier beim Frankfurter Finanzamt gewesen), aber auch der Tatsache, dass sie nie aufgehört hatte, sich weiterzubilden. Soweit möglich, vermied sie es, sich auf Partys sinnlosem Smalltalk hinzugeben, sie liebte vielmehr die Ruhe und Abgeschiedenheit oder das Zusammensein mit ein paar wenigen guten Freunden. Sie war eine außergewöhnliche Frau. »Hallo«, wurde Schmidt von ihr begrüßt, sie küsste ihn rechts und links auf die Wange, ein strahlendes Lächeln überzog ihr beinahe faltenloses Gesicht, an dem noch kein Chirurg Veränderungen vorgenommen hatte. Sie duftete nach einem sinnlichen und doch unaufdringlichen Parfüm, als wollte sie sich zur Paarung bereitmachen, dabei hatten sie und Schmidt nur selten miteinander geschlafen, das letzte Mal im vergangenen Sommer in Nizza, in ihrem Haus über dem Meer. Er war zu dem Zeitpunkt zwar schon eine ganze Weile mit Maria zusammen gewesen, aber Sarah konnte er einfach nicht widerstehen. Diesmal würde es anders sein, er hatte sich vorgenommen, Maria nicht mehr zu betrügen. »Ich freue mich, dich zu sehen. Mehr, als du dir vorstellen kannst«, sagte sie, neigte den Kopf zur Seite und bat ihn einzutreten.
    »Du siehst wie immer wunderschön aus«, sagte Schmidt und meinte es ehrlich, denn Sarah war für ihn seit ihrem ersten Treffen eine der schönsten und aufregendsten Frauen, die er je getroffen hatte. Die Einzige, die mit ihr mithalten konnte, war Maria, auch wenn diese aus einem eher einfachen Elternhaus stammte und nur über geringe finanzielle Mittel verfügt hatte, als sie sich kennenlernten. Während Marias Intelligenz mehr aus dem Herzen kam, war Sarah eher kopfgesteuert, was ihrer Sinnlichkeit jedoch keinen Abbruch tat. Maria war trotz ihres Stolzes von einnehmendem Wesen, während Sarah äußerst kühl und abweisend, distanziert und unzugänglich sein konnte,

Weitere Kostenlose Bücher