Eisige Naehe
was mir heilig ist. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich deine Beziehung zu Maria niemals gefährden würde? Niemals, denn ich liebe dich auch. Nie im Leben würde ich dir schaden. Ich sehne mich nach dir, und das ist mehr, als ich dir eigentlich sagen wollte. Kommst du jetzt mit?« Hans Schmidt stand wortlos auf und nickte. Er reichte ihr die Hand, um ihr hochzuhelfen, und küsste sie. »Maria ...«
»Denk jetzt nicht an Maria. Im Moment gibt es nur noch uns.«
Sie gingen in den ersten Stock und liebten sich über zwei Stunden. Es war weit nach Mitternacht, als Sarah Schumann ihren Kopf auf den Arm stützte und Schmidt lange ansah, als wollte sie seine Gedanken lesen. »Was ist?«, fragte er. »Ich muss etwas mit dir besprechen.« »Worum geht's?«
»Es ist kompliziert. Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, dir etwas ganz Wichtiges zu ... erklären.« Ursprünglich hatte sie das Wort »beichten« verwenden wollen.
Als sie innehielt und den Blick senkte, erschien sie ihm mit einem Mal wie ein junges, unschuldiges Mädchen. Sanft ließ er seine Finger über ihr Gesicht gleiten. »Nun mach's nicht so spannend, ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.«
»Darum geht es gar nicht.« Sie hob den Blick und sah Schmidt lange und schweigend an, als überlegte sie, wie sie ihre nächsten Worte am besten formulieren konnte. Schließlich sagte sie: »Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich nach Kiel gekommen bin. Willst du das gar nicht wissen?«
»Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, vielleicht ist es dir in Frankfurt langweilig geworden«, antwortete er unsicher. Sarah war die einzige Person auf der ganzen Welt, die ihn tatsächlich verunsichern konnte. »Es hat einen Grund, weshalb ich ausgerechnet jetzt hier bin. Wie lange kennen wir uns schon? Im Oktober werden es fünfundzwanzig Jahre, und du hast mich nie gefragt, wer ich wirklich bin. Du hast mir immer blind vertraut, oder sehe ich das falsch?«
»Nein, aber ... Nein, das heißt, ja, ich habe dir immer vertraut«, antwortete er noch eine Spur unsicherer. »Lass mich dir etwas erklären, und es kann sein, dass du mich hinterher verfluchen wirst. Aber da muss ich durch, ich werde auch das verkraften.« Nach einem Augenblick fuhr sie mit angehobener Stimme, in der auch Wut und Verzweiflung mitschwangen, fort: »Warum hast du nie Fragen gestellt? Warum, verdammt noch mal, hast du nie Fragen gestellt?«
»Welche Fragen hätte ich denn stellen sollen?«, fragte Schmidt mit ratloser Miene.
»Zum Beispiel, wie es nach dem Tod meines Mannes mit mir weitergegangen ist. Du hast mich nie gefragt, wer meine Kontaktleute sind oder wie der Kontakt zustande gekommen ist ... Du hast nie Fragen gestellt, niemals, sondern immer nur die Aufträge zur vollsten Zufriedenheit der Auftraggeber erfüllt. Wie ein Roboter, wobei ich das nicht despektierlich meine, das weißt du. Ich denke, es ist an der Zeit, dir endlich alles zu erklären. Bist du bereit für die Wahrheit?« Sie sah ihn aus ihren braunen Augen an, es schien für einen Moment, als kämpfte sie mit den Tränen, doch dann hatte sie sich wie stets unter Kontrolle.
»Natürlich«, antwortete er verwirrt. Eine Gefühlsregung, die ihm, dem Pragmatiker, eher fremd war. Emotionen leistete er sich nur, wenn er mit Maria zusammen war. Doch das hier war Sarah, die er fast sein halbes Leben lang kannte, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass auch sie ihn besser kannte als irgendjemand sonst, denn im Gegensatz zu Maria wusste sie auch um seine dunklen Seiten, die Abgründe, in denen er sich bewegte. »Eine Frage: Hast du mich all die Jahre über belogen?« »Nein, ich habe dich nie belogen, ich habe dir nur einige Dinge vorenthalten. Dich anlügen, nein, das würde ich niemals tun. Auch ich habe eine Frage an dich: Was hättest du getan, wenn keine Aufträge gekommen wären, nachdem du meinen Mann getötet hast? Warte, ich glaube, ich kenne die Antwort. Du hättest dein Studium beendet, was du ja auch getan hast, und danach wärst du ganz normal ins Berufsleben eingestiegen und hättest heute mit Sicherheit eine Frau, Kinder und ein geregeltes Leben. Ihr würdet in einem Reihenhaus in einer langweiligen Vorstadt leben und ... Wir hätten uns längst aus den Augen verloren, wir wussten nichts mehr voneinander. Denn anfangs war von meiner Seite aus nur geplant, dass du mir meinen Mann vom Hals schaffst. Korrigier mich, wenn ich falschliege.«
»Nein, so ungefähr wäre mein Leben wohl verlaufen. Obwohl
Weitere Kostenlose Bücher