Eisige Naehe
Termin.«
»Jetzt, um diese Zeit? Bei dir ist es doch schon Viertel nach neun.«
»Manche Kunden haben eben erst sehr spät Zeit. Bis morgen. Schlaf gut und träum was Süßes.« »Ich werde von dir träumen, nur von dir. Gute Nacht, Senhor Schmidt, und vergiss nie, dass ich dich liebe.« »Maria, wie könnte ich das jemals vergessen? Pass auf dich auf. Und denk dran: Ich liebe dich auch.« Er legte auf, ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten. Er hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand und überlegte, ob er bei Sarah Schumann anrufen sollte. Eine innere Stimme sagte ihm, er solle es tun, eine andere, er solle es besser lassen. Schließlich tippte er ihre Nummer ein.
»Hallo, Sarah. Ich wollte mich nur bei dir melden ...«
»Kommst du?«, fragte sie schnell.
»Warum?«
»Um mir Gesellschaft zu leisten. Ich fühle mich heute sehr, sehr einsam. Nur ein wenig Gesellschaft. Ich bitte dich darum, und du kennst mich, ich bitte nur selten um einen Gefallen.«
»Also gut. Ich bin in zehn Minuten bei dir.« »Danke.«
Er ging noch einmal ins Bad, kämmte sich und legte etwas Eau de Toilette auf.
Er schüttelte den Kopf. Du bist wahnsinnig, dachte er und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Du bist wirklich wahnsinnig. Du sagst zu Maria, dass du sie liebst, und dann gehst du zu Sarah. Das ist nicht fair, aber ich kann Sarah auch nicht einfach ignorieren. Er ließ das Licht brennen und sah nach allen Seiten, als er das Haus verließ, es war nichts Auffälliges zu erkennen. Mit ausgreifenden Schritten lief er die vierhundert Meter bis zu Sarahs Villa. Er klingelte dreimal kurz hintereinander, ein Zeichen, das sie bereits vor vielen Jahren ausgemacht hatten und das nicht nur für Kiel, sondern auch für Frankfurt, Nizza und alle anderen Orte galt, wo Sarah Schumann ein Haus oder eine Wohnung besaß. Ein leises Summen, eine helle Beleuchtung ging an, und er drückte das Tor auf, das sich von allein wieder schloss. Die Haustür stand einen Spalt offen. Sarah saß mit angewinkelten Beinen in einem schwarzen Hausanzug aus Seide auf dem langgestreckten Ledersofa. Vom Dienstmädchen, das das ganze Jahr über das Haus hütete, war weit und breit nichts zu sehen.
»Schön, dass du gekommen bist. Ich habe Sabine gesagt, dass ich sie nicht mehr brauche, falls du dich wunderst, wo sie ist.«
»Es gibt nichts, worüber ich mich noch wundern könnte.«
»Setz dich zu mir. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten? Kaffee, Tee oder Saft?«
»Einen Pfefferminztee, wenn du einen hast«, antwortete Hans Schmidt und setzte sich neben Sarah, die nach einem exotischen Parfüm duftete, nicht aufdringlich, sondern dezent und deshalb umso verführerischer. »Trinkst du eigentlich auch noch etwas anderes außer Pfefferminztee und Wasser?«, fragte Sarah Schumann mit einem spöttischen Lächeln, das jedoch nichts Verletzendes hatte.
»Natürlich, aber jetzt ist mir nach Pfefferminztee.« »Den sollst du haben«, sagte sie und ging in die Küche. Sie war barfuß, und es war nicht zu übersehen, dass sie unter dem Hausanzug nackt war. Ihre Figur konnte sich mit jeder jungen Frau messen: die schlanke Taille, das weibliche Becken, die wohlgeformten und noch immer festen Brüste, die perfekten Beine. Sie tat auch etwas dafür, sie trieb viel Sport, ernährte sich gesund und unterließ Ausschweifungen jeglicher Art, trieb sich nicht auf Partys herum und umgab sich nur mit ausgewählten Menschen.
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie einsam sie war. Eine schöne, reiche Frau, die an jedem Finger zehn Männer hätte haben können, die aber seit dem Tod ihres Mannes keine feste Beziehung mehr eingegangen war, entweder aus Angst, wieder an den Falschen zu geraten, oder weil sie es einfach nicht mehr wollte. Genannt hatte sie ihm den Grund nie, sie war dieser Frage stets ausgewichen.
Sie hatte Freunde und Bekannte auf der ganzen Welt, sie hatte zwei verheiratete Töchter, die in den USA beziehungsweise Neuseeland lebten, sie reiste viel, und es gab kaum einen Flecken auf der Erde, den sie noch nicht gesehen hatte. Dennoch war eine Leere in ihr, die sie selbst nicht genauer zu beschreiben vermochte, wie sie Hans Schmidt vor nicht allzu langer Zeit erklärt hatte. Er hatte sie in ihrem Haus in Nizza besucht, und sie hatten auf der Terrasse gemeinsam den Sonnenuntergang genossen. Es war einer jener seltenen Momente gewesen, in denen Sarah Schumann nicht die starke, unantastbare Frau gab, sondern melancholisch, fast depressiv wirkte. Hans Schmidt hatte
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