Eisige Naehe
doch?«
Bruhns reagierte nicht, brachte kein Wort über die Lippen. Er bewegte sich nicht mehr, während Kerstin sich immer wieder verkrampfte, ein paarmal schrie sie wild auf vor Schmerzen, sie wand sich, bis ihre Augen so groß wurden, als würden sie gleich aus den Höhlen fallen, während der Schweiß sich in Strömen über ihren Körper ergoss.
Schmidt wartete weitere fünf Minuten, bis er sich sagte, es sei an der Zeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen, denn es war spät, und er war müde und hatte in den nächsten Tagen noch viel zu tun.
Aus zwei Metern Entfernung schoss er erst Bruhns und danach Kerstin, deren Nachnamen er seit drei Wochen kannte, in den Kopf. Beide traf er genau zwischen die Augen. Danach holte er eine zweite Pistole aus dem Mantel, drückte sie Bruhns in die Hand und feuerte zweimal in ein Kissen, das er später mitnehmen würde. Die Pistole ließ er neben Bruhns auf den Boden fallen. Es gehörte diesmal zum Spiel, obwohl er sonst nie spielte, ausgenommen eine andere Sache, über die sich einige wundern würden. Bei der Obduktion würden sie rasch herausfinden, dass die Waffe auf dem Boden nicht die Tatwaffe war.
Er brauchte kaum eine halbe Stunde, bis alles so arrangiert war, wie er es sich seit seinem Eintreffen vor nunmehr fast einer Stunde ausgemalt hatte. Er war schon immer ein Künstler gewesen, doch diesmal war ihm etwas ganz Besonderes gelungen. Er blieb eine Zeitlang vor seinem Kunstwerk stehen, ein beinahe verklärtes Lächeln überzog für einen Augenblick seine Lippen. Du gottverdammtes Arschloch, dachte er, als er einen letzten Blick auf Bruhns warf und danach Kerstin ansah. Und du warst kein Stück besser. Er hatte kein Mitleid, beide hatten bekommen, was ihnen zustand.
Er nahm das Aufzeichnungsgerät der Überwachungsanlage mit, schaltete die Alarmanlage aus und lehnte die Eingangstür und das Tor nur an. Schönberg lag in tiefem Schlaf, als er in seinen Jaguar stieg und Richtung Kiel fuhr. Der erste Teil seiner Aufgabe war erledigt. Es war wie eine Aufführung in mehreren Akten, der Vorhang hatte sich gesenkt, würde sich aber schon sehr bald wieder heben - zum zweiten Akt.
SONNTAG, 11.45 UHR
Sören Henning und Lisa Santos waren spät zu Bett gegangen und ebenso spät aufgestanden, obwohl sie sich für diesen Sonntag eine Menge vorgenommen hatten: gemütlich frühstücken, am Nachmittag zu Lisas Eltern nach Schleswig fahren, dort Kaffee trinken und ein wenig plaudern und vor der Rückfahrt nach Kiel noch Lisas Schwester Carmen einen Besuch im Heim abstatten. Dort würde Lisa sie ein bis zwei Stunden lang kämmen, schminken und sich mit ihr unterhalten, als könnte Carmen sie verstehen. Vielleicht tat Carmen das ja auch, obwohl sie sich seit dem Überfall vor fast fünfundzwanzig Jahren, bei dem sie beinahe gestorben wäre, nicht mehr artikulieren konnte. Ihr Zustand hatte sich zwar in den letzten Jahren nicht verschlechtert, aber es war auch trotz aller Therapiemaßnahmen keine Besserung zu erwarten. Bis zu ihrem Tod würde sie ein Pflegefall bleiben, und das konnte noch Jahrzehnte dauern.
Sie hatten gerade mit dem Essen begonnen, als das Telefon klingelte. Lisa runzelte die Stirn und warf Sören einen Blick zu, den er nur zu gut zu deuten wusste. Da sie keinen Anruf erwarteten, aber Bereitschaft hatten, war dies möglicherweise das Ende eines durchgeplanten Tages. Doch auf dem Display stand nur »unbekannt«. Lisa atmete einmal tief durch und wartete einen Moment, bevor sie abhob. »Santos.«
»Genau Sie wollte ich sprechen.« »Ja, worum geht's? Und mit wem spreche ich?« »Das tut nichts zur Sache. Ist Ihr Partner bei Ihnen?« »Ja, aber ...«
»Haben Sie etwas zum Schreiben zur Hand?« »Ja, aber ...«
»Gut, und unterbrechen Sie mich nicht mehr, meinen Namen werde ich Ihnen so oder so nicht nennen. Fahren Sie nach Schönberg, dort werden Sie etwas wahrhaft Schönes vorfinden, es kommt natürlich darauf an, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet...« Nachfolgend diktierte er eine Adresse, Lisa Santos schrieb mit. »Haben Sie alles notiert?« »Ja, aber ...«
»Sie und Ihr >Ja, aber<. Fahren Sie einfach zu der angegebenen Adresse. Ich melde mich wieder. Einen schönen Tag noch.«
»Warten Sie. Wir fahren nicht einfach so nach Schönberg, Sie müssen schon etwas deutlicher werden.« Für einen Moment entstand eine Pause, bis der Unbekannte sagte: »Also gut. Ich sage nur Peter Bruhns, Musikproduzent. Das muss reichen.« Der Anrufer legte auf. »Was ist?«,
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